Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
lassen. Sondern weil man sich wieder einmal nicht entscheiden konnte.
Diese verbreitete Mentalität, »sich alle Optionen offenzuhalten«, hat mit Vitalitätsgewinn nichts zu tun. Ebenso wenig wie die panische und gleichzeitig gelähmte Hektik bei der größeren Lebensplanung mit dem Prozess des »Trial and Error« zu tun hat, in dem ich idealerweise den Weg zu mir selbst finde. Jener Prozess verlangt nämlich von mir, dass ich nach jedem Error einen Schritt zurücktrete und mich frage – warum bin ich gescheitert? Warum fühlt es sich falsch an? Es bringt nichts, sich zehnmal hintereinander mit demselben Typus Mann einzulassen, wenn ich merke, dass ich jedes Mal gegen dieselbe Wand renne. Ebenso wenig bringt es, wie auf einer Perlenkette Praktikum an Praktikum zu reihen, obwohl mir längst dämmert, dass sich daraus keine vernünftige Arbeitsperspektive ergeben wird.
Die Berufsberaterin Uta Glaubitz hat ein Buch über die »Generation Praktikum« und deren Schwierigkeiten geschrieben. Ihr Rat: »Die Leute sollten sich viel mehr Zeit nehmen, in sich hineinzuhorchen, um herauszufinden, welche Art von Tätigkeit sie wirklich befriedigt und auf welchem Feld sie wirklich engagiert und gut sind. Stattdessen lassen sie sich von allen Seiten einflüstern, was der Arbeitsmarkt angeblich von ihnen erwartet. In einer Zeit, in der die Trends und Parolen immer schneller wechseln, muss einen das verrückt machen. Die Frustration ist vorprogrammiert.«
Es stimmt mich jedes Mal traurig, wenn ich Frauen wie Nina treffe. Denn die simple Wahrheit ist, dass wir nur dieses eine Leben haben – und es ein Jammer ist, wenn wir unsere besten Jahre damit vergeuden, auf den großen Startschuss zu warten.
Und es macht mich wütend, wenn ich von Frauen höre, dass sie sich danach sehnen, dass ihnen schwere Lebensentscheidungen wie Berufswahl oder Fortpflanzung vom »starken Mann« oder – wenn der nicht zu haben ist – vom schlichten Zufall abgenommen werden. Generationen von Frauen vor uns und Millionen von Frauen in anderen Teilen der Welt träumen davon, wenigstens über die grundlegenden Aspekte ihres Lebens selbst entscheiden zu dürfen. Nur wir Luxusweibchen empfinden diese Entscheidungsfreiheit als Entscheidungslast und träumen deshalb laut oder leise davon, wieder von ihr befreit zu werden?
Mein persönliches Schlüsselerlebnis war der 11. September 2001, an dem mir klar wurde, dass der Reiz unseres heutigen westlichen Lebensstils eben nicht nur darin besteht, zwischen fünf Sorten Cola und fünfhundert Handtaschen wählen zu können. Sondern dass sich in ihm eine existenzielle Freiheit ausdrückt, die manchmal schwer zu verkraften und noch schwerer zu gestalten ist – und dennoch die beste Lebensform, die die Menschheit bislang zustande gebracht hat.
Deshalb bin ich zu dem Schluss gekommen, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als diese Lebensform zu verteidigen – anstatt sie selbst von innen heraus zu zersetzen, indem wir uns wie verwöhnte, gelangweilte und gleichzeitig verängstigte Kinder benehmen.
Akzeptieren wir, dass wir in einer verwirrenden, unübersichtlichen, anstrengenden Welt leben! Hören wir auf, das »Meer der Möglichkeiten«, wie Claudius Seidl es nennt, wahlweise als Plantsch- oder Haifischbecken misszuverstehen! Lasst uns die Herausforderung, lebenslang rudern, steuern und den Horizont suchen zu müssen, annehmen! Jeder von uns. Ganz gleich, ob Mann oder Frau. Mögen die Cinderellas aufhören, vom Prinzen zu träumen, der sie auf seine starken Arme hebt und über die Schwelle zu ihrem eigenen Leben trägt, und mögen die Peter Pans begreifen, dass es nichts bringt, jede Nacht mit »Frauen, wunderbaren Frauen« abzuhängen, um sich davon abzulenken, dass auch sie noch lange nicht im eigentlichen Leben angekommen sind!
Und wenn wir endlich erkannt haben, dass nur wir selbst imstande sind, uns mit unserem Leben auszusöhnen und diese schwierige Aufgabe keinem anderen mehr aufbürden wollen – dann finden wir eines Tages vielleicht auch den Job, der uns befriedigt und ernährt; den Freundeskreis, der nicht nur aus losen, schnelllebigen, nützlichen Kontakten besteht; das Zuhause, in dem wir die Bilder tatsächlich an die Wände dübeln und nicht nur dagegen lehnen; und zu guter Letzt auch den Partner, an dessen Fell wir uns wärmen können, wenn uns die kalten Winde der Freiheit wieder einmal allzu garstig um die Ohren pfeifen.
SOS Multikulti
Thea Dorn geht nicht zum Karneval der
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