Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
irgendwann merkt Mamas kleiner Tyrann, dass der Westen seinen gottgegebenen Alpha-Anspruch nicht anerkennen will, sondern ihn – nun ja: bestenfalls als Beta-Tier behandelt. Das ist der Moment, in dem Mamas kleiner Tyrann den Pilotenschein macht. Landeerlaubnis unnötig.
Als ich das nächste Mal nach oben schaue, ist der Himmel schwarz. Es regnet, als habe irgendwer beschlossen, aus der Steppe ein Meer zu machen. Ich lasse meinen durchweichten Sonnenstuhl stehen und renne davon.
Beim Abendessen ist mir bereits übel, bevor ich erfahre, dass der Fleischauflauf, den es gab, aus Springbock gemacht war. Draußen sind überall Pfützen, und meine Schuhe sind gerade getrocknet, dennoch gehe ich los, um den Wildhüter zu suchen. Er steht auf der Terrasse und schaut der dampfenden Erde zu.
»Sie haben heute Morgen die Geschichte nicht zu Ende erzählt«, rufe ich, bevor er mich hat kommen hören. »Was ist aus dem Beta-Löwen geworden?«
Der Wildhüter dreht sich um. »Aus unserem Troublemaker?« Er lächelt ein trauriges Lächeln. »Er ist noch ein drittes Mal ausgebrochen. Dann haben wir ihn in den Hochsicherheitstrakt gebracht.«
»In den Hochsicherheitstrakt?«, frage ich. Der Horizont glüht.
»Ja. Unser Beta-Löwe sitzt jetzt in Johannesburg«, sagt der Wildhüter und wendet sich der fast versunkenen Sonne zu. »Im Zoo.«
Leben unter Vorbehalt
Thea Dorn fragt sich, wie die Generation, die mit ihrer Freiheit nichts anzufangen weiß, doch noch erwachsen werden kann.
Vor Kurzem lernte ich auf einer Party eine Frau kennen. Nina ist Anfang dreißig, lebt in Berlin, hat längere Beine als Marlene Dietrich, ein ansteckenderes Lachen als Liselotte Pulver, und als ich erfuhr, dass sie Bezirksmeisterin in Karate war und gerade an einer Reportage über »moderne Piraten« schreibt, war ich endgültig beeindruckt.
Wir verabredeten uns für die folgende Woche auf einen Kaffee, und ich dachte: »Endlich mal eine entspannte, souveräne Frau.«
Als ich Nina im Cafe traf, war ich wieder beeindruckt. Sie erzählte von ihrer Reise durch Indonesien, Sumatra, Malaysia, die sie im letzten Sommer (allein) unternommen hatte, und bei der ihr die Idee zu der Reportage gekommen war. Vielleicht enthielte die Geschichte sogar genügend Stoff für ein Buch.
Irgendwann später-wir waren vom Kaffee auf Gin Tonic umgestiegen – erklärte sie, dass das mit dem Beruf doch alles nicht so wichtig sei. Im Übrigen sei ohnehin völlig unklar, ob sie die Reportage, geschweige denn das Buch, jemals unterbringen würde. Außerdem hänge ihr die ganze Schreiberei zum Hals heraus. Im Grunde sei sie nur deshalb beim Journalismus gelandet, weil ihr damaliger Freund auch geschrieben habe, und sie das Gefühl gehabt habe, sie müsse »ihm das Wasser reichen«. Wenn sie ehrlich wäre, würde sie viel lieber etwas ganz anderes machen: Yogalehrerin zum Beispiel. Oder einen Weinladen eröffnen. Berlin könne sie auch nicht mehr ertragen – andererseits sei sie in den letzten zehn Jahren elfmal umgezogen, und die ewige Umzieherei hänge ihr noch mehr zum Hals heraus als die Schreiberei. Die Wahrheit sei, dass sie endlich einen richtigen Mann kennenlernen wolle, und nicht immer nur solche »Hallöchens«, mit denen man ein paar Wochen Spaß haben könne, die aber niemals für »was Ernsthaftes« infrage kämen. Das sei nämlich die »Wahrheit zwei«: Sie wolle Kinder, und es kotze sie an, wie unzuverlässig die Kerle seien. Aber vielleicht liege es ja auch an ihr, sie selbst sei schließlich unfähig, sich dauerhaft zu binden – sie bringe es nicht einmal fertig, eine Zimmerpflanze so zu gießen, dass sie nicht nach einem Monat die Blätter hängen ließe. Inzwischen sei sie so weit, dass sie ihre Schwester, die in einer süddeutschen Kleinstadt lebt, seit zehn Jahren verheiratet ist, in der Arztpraxis ihres Mannes mithilft und sich ansonsten einfach nur um ihre drei Kinder und den Garten kümmert – dass sie diese Schwester, die sie früher stets verachtet hatte, um ihr Leben beneiden würde.
Auf dem Heimweg war ich einigermaßen ratlos. Nicht, weil mir diese Anwandlungen, das Gefühl, im Vorspiel zum eigentlichen Leben steckengeblieben zu sein, gänzlich fremd wären. Auch ich habe zwischen verschiedensten Jobs, Wohnungen, Beziehungen gelebt, als sei das Leben ein Cabrio, das man nach misslungener Testfahrt wieder beim Autohändler zurückgibt, um es beim nächsten Mal lieber mit einem Geländewagen zu versuchen. Allerdings liegt diese
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