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Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Titel: Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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ähnlicher geworden: ökologisch korrekt, sozial verträglich, kulturtolerant. Die einen ein bisschen mehr, die anderen ein bisschen weniger. Auf dem heutigen bundespolitischen Schachbrett stehen sich kein schwarzes und weißes Heer gegenüber, es geht nicht darum, den Gegner in möglichst wenigen Zügen mattzusetzen. Parteisoldaten jeglicher Schattierung schlendern übers gewürfelte Parkett und handeln aus, wie alle möglichst lange im Spiel bleiben können.
    Dies ist keine Parteienschelte. Es ist eine Beschreibung, wie unser Land insgesamt funktioniert. Die Zeit der großen Auseinandersetzungen ist nicht nur in der Politik vorbei. Die Wirtschafts- und Finanzkrise führte zu keiner gesellschaftlichen Spaltung, sondern zu einer Gesamtsozialdemokratisierung. Im Windschatten des Generationenkriegs von ’68 verstehen sich Eltern und Kinder gut wie nie. Im Schwimmbad des Geistes, in welchem man sich früher vom gegenüberliegenden Beckenrand aus beißend kalt oder heiß erregt beschimpfte, plantscht man heute gemeinsam im Lauwarmen.
    Ich werde morgen zur Wahl gehen und meine beiden Kreuze machen. Die Eisdielen-Demokratie, wie wir sie derzeit erleben, ist nicht die beste aller möglichen Welten. Die beste aller real existierenden ist sie immer noch.

Streiten in Harmonistan
     
    Thea Dorn sehnt sich nach streitbaren Zeitgenossen.
     
    Es ist eins dieser Wörter, die uns bedeuten wollen, alles sei auf gutem Weg. Warum wächst in mir dennoch das Unbehagen, wenn ich das Wort »Streitkultur« höre?
    »Kultur« wird an Begriffe angehängt, um zu signalisieren, dass es feiner zuginge als vormals: Aus dem »Baden« wird die »Badekultur«, aus dem »Essen« die »Esskultur«. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin ein großer Anhänger von Kultur. Vielleicht werde ich gerade deshalb misstrauisch, wenn die Sprache beginnt, das Wort »Kultur« zum schmückenden Beiwort zu machen.
    Schon Hesiod unterschied zwischen der löblichen Eris und der verderblichen – zwischen dem guten, produktiven Streit und dem bösen, destruktiven. Letzterer finde immer dann statt, wenn es um die Vernichtung, Auslöschung des Gegners gehe. Der produktive Streit hatte für Hesiod die Gestalt von Konkurrenzkämpfen: Aus Eitelkeit kann es der eine nicht ertragen, wenn der andere sich hervortut, also lässt er sich anstacheln, ihn zu übertrumpfen. Die gemeinsame Wurzel allen Streits aber blieb der Drang des Einzelnen nach Überlegenheit. So verstanden kann kein Streit ohne die Begriffe »Sieger« und »Verlierer« auskommen – ganz gleich, mit welch kultivierten Mitteln er ausgetragen wird.
    In unseren westlich-zivilisierten Demokratien dagegen hat sich ein Verständnis von »Streit« breitgemacht, das diese Begriffe und die damit verbundenen Triumph- bzw. Unterlegenheitsgefühle vermeiden will. Allenfalls im Boxring und auf dem Rasen gestatten wir uns und unseren Sportskanonen noch, den Gegner unversöhnlich niederzumachen. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Schlachtenbummler im Fußballstadion von einer freundlichen Lautsprecherstimme aufgefordert werden, ihre Gesänge »So sehen Sieger aus, scha-la-la-la-la« bitte zu unterlassen. Der Verlierer könnte sich gedemütigt fühlen. Oder noch konsequenter: Alle Spielergebnisse außer dem »Unentschieden« werden im Interesse des öffentlichen Friedens annuliert.
    In der Politik ist dieser Zustand bereits eingetreten, die Große Koalition war sein natürlicher Ausdruck. Betrachtete man am Abend der Bundestagswahl die Gesichter der Gewinner, sah man, dass heftig darum gerungen wurde, sich bloß keinen Triumph anmerken zu lassen. Als die Schlachtenbummler der FDP auf ihrer Wahlparty in den Römischen Höfen den »Scha-la-la-la-la«-Gesang anstimmten, machte der Parteivorsitzende Gesten, als wollte er gleich beidhändig die Notbremse ziehen. So sehen demokratische Sieger aus: vor allem bemüht, »auf dem Teppich« zu bleiben.
    Nun spricht vieles dafür, dieses Verhalten tatsächlich für einen Zivilisationsfortschritt zu halten. Der persönliche Ehrgeiz, das narzisstische Streben nach Überlegenheit, wird gezähmt, die »Sachorientierung« rückt in den Vordergrund. Aber beobachten wir wirklich dies, wenn wir uns in Politik, Geistesleben, der gesamten Gesellschaft umschauen? Oder erleben wir nicht vielmehr, dass sich klar umrissene, fest vertretene Positionen unter der Hand auflösen, wenn das einzig zugelassene Ergebnis eines Streits von vornherein lautet:

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