Sanssouci
I
Die Beerdigungsgesellschaft
Für Anni Schmidt war der westdeutsche Regisseur ein sehr angenehmer Nachbar gewesen. Sie erzählte Dinge, die den Umsitzenden im Nibelungenhof, besonders den Babelsbergern, doch ziemlich spießig erschienen. Man musterte die Frau unverhohlen. Anni Schmidt trug ihr schwarzes Trauerkostüm, das sie vor zehn Jahren in der Gutenbergstraße in Potsdam anläßlich der Beerdigung ihres Gatten gekauft hatte, und ein schwarzes Hütchen mit Feder. Die Babelsberger trugen meistens nicht einmal Schwarz, sondern Jeansjacken oder die abgetragenen Sakkos, die sie auch sonst das ganze Jahr über trugen. Man saß im hinteren Raum der Wirtschaft.
Die Frau erzählte, daß sie den westdeutschen Regisseur, also Max Hornung, vollständig Maximilian Alexander Hornung, öfter im Garten getroffen habe, am gemeinsamen Gartenzaun, denn er habe sich intensiv um seinen Garten gekümmert. Garten, sagte einer der Babelsberger und starrte sie mit offenem Mund an. Sie: Ja, Garten. Rosen hatte er, und was für schöne! Er hat ja sogar das Unkraut gemocht und immer gesagt, liebe Frau Schmidt, Sie mögen das Unkraut nennen, aber findet die Distel die Distel nicht ebenso schön wie eine Rose eine Rose? Einmal bin ich ihm auf dem Kapellenberg begegnet, also, da waren Blumen, wissen Sie, die habe ich noch nie gesehen, obgleich ich da seit sechzig Jahren hingehe. So jemand liebt die Natur, wer so viel sieht!
Es gab im Nibelungenhof Schnaps, Kaffee, belegte Brötchenhälften (Käse, Bierwust, Räucherschinken), später wurden Würstchen und Steaks vom Rost gereicht. Frau Schmidt aber bestellte einen Schwarzwaldbecher. Es war Frau Schmidts erste Reise … ins Ausland, hatte sie ihrer Kusine vor einigen Tagen am Telefon gesagt, sie meinte natürlich: in den Westen, nämlich nach Frankfurt am Main. Und obgleich der Grund für die Reise eine Beerdigung war, hatte sie sich dennoch fest vorgenommen, die Reise auch ein wenig zu genießen. Sie war am Vortag angekommen und hatte sich ein Hotelzimmer in Bahnhofsnähe genommen, Hotel Elvira, Weserstraße. Als sie auf dem Weg zum Hotel an den blau und rot beleuchteten Schaufenstern mit den Auslagen von Dr. Müller, Beate Uhse und World of Sex etcetera vorbeikam, begriff sie, daß sie mitten ins Frankfurter Pornoviertel geraten war … Den Abend verbrachte sie vorsichtshalber im Hotelzimmer. Es verdroß sie nicht; am nächsten Morgen machte sie einen kurzen Gang an den Main, um ihre Verdauung in Gang zu bringen, und nachdem also gewisse Dinge erledigt waren, die erledigt werden mußten, bevor sie das Hotel verlassen konnte, fuhr sie zum Frankfurter Hauptfriedhof. Es war ein wunderbarer Sommertag, in den frühen Morgenstunden hatten die Amseln ein Konzert sondergleichen angestimmt. Die Trauergesellschaft versammelte sich um neun Uhr morgens, zu einer Zeit, zu der, wie einige dem Verstorbenen Nahestehende anmerkten, der Verblichene sicherlich noch geschlafen hätte … Es gab ein kleines Requiem, von einem katholischen Priester unter Mithilfe eines russisch-orthodoxen Mönchsgehalten, dann überführte man den Sarg zum Grab und versenkte ihn elektrisch. Obwohl Anni Schmidt Hornung sehr gern gehabt hatte (mehr, als sie irgendwem gegenüber zugab; er war in den letzten zwei Jahren fast ein wenig das Glück ihrer alten Tage gewesen) und obwohl sie demzufolge also wirklich Trauer empfand um diesen netten jungen Mann, war es für sie dennoch sehr interessant und schön auf dem Frankfurter Hauptfriedhof. Hornung wurde an einem der seitlich vom Pavillon der Brandbestattungsgesellschaft abzweigenden Stichwege beerdigt. Frau Schmidt betrachtete die Gräber, teilweise waren sie sehr alt … liegende Figuren in langen Gewändern, ernste Gesichter, Maßwerk auf den Seiten der Sarkophage … eine Figur hatte ein Hündchen aus Stein zu ihren Füßen. Vor Jahrhunderten mußte der Verstorbene dieses Hündchen sehr geliebt haben. Natürlich dachte die gebürtige Potsdamerin hier an die Hunde des alten Fritz in Sanssouci. Überhaupt dieser herrliche Tag, und diese riesigen alten Bäume!
Wie gesagt hatte sie Hornung sehr gemocht. Das hatte sich aber erst mit der Zeit so ergeben. Zunächst war sie diesem fremden Westler gegenüber, der ihr in den Zeitungen so prominent angekündigt worden war, ziemlich mißtrauisch gewesen. Aber Hornung war ein ruhiger Nachbar, zurückhaltend und dennoch sehr freundlich. Sie hatte gemerkt, daß er sie ebenfalls mochte. Manchmal tranken sie sogar gemeinsam Kaffee in seiner
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