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Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Titel: Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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– das war der Schuldirektor, der zur Feier der ersten Griechischstunde persönlich in jede Klasse kam, über die »Sándale« (mit altgriechischer Betonung auf der ersten Silbe) rhapsodierte und dabei auf hellbraunen Lochmustersandalen wippte. CDU – das waren peinlich-laute Provinzfiguren, die Frauen hinterm Herd und Schwule im katholischen Umerziehungslager sehen wollten, oder schmallippige Machtstreber, die man im Verdacht hatte, insgeheim doch am vierten Reich zu stricken. Die CDU hatte die Aura des Imperiums aus »Krieg der Sterne«. Nur dass Helmut Kohl nicht über den morbiden Sexappeal von Darth Vader verfügte.
    Und heute? Das Imperium ist sanft geworden, weltoffen, tolerant. Aber irgendwie auch müde. Nichts in der heutigen CDU erinnert mehr an Krieg der Sterne . Eher gleicht sie der Lindenstraße. Im diesem Kosmos darf jeder sein, wie er ist, keiner soll umerzogen werden, niemand wird ausgegrenzt. Manchmal beschleicht mich zwar der Verdacht, Darth Vader könne in die Maske von Mutter Beimer geschlüpft sein. Doch selbst wenn dem so wäre, sagt dies mehr über den aktuellen Zustand von Darth Vader aus als über den der Lindenstraße.
    Dass es mit der alten CDU endgültig vorbei ist, wurde mir klar, als ich vor wenigen Monaten Gast bei der Islamkonferenz war und den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble – jenen Politiker also, der vor zwanzig Jahren noch als eine Art Wilhuff Tarkin (legendär aasiger Kommandant des »Todessterns«) gegolten hatte – in einer halben Stunde siebzehnmal das Wort »Vielfalt« sagen hörte.
    Aus der Kalte-Kriegs-Partei ist nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation eine laue Friedenspartei geworden. Im Jahre 2009 gibt es keine Gründe mehr, die CDU nicht zu wählen. Viele Gründe, sie zu wählen, gibt es allerdings auch nicht.

Die demokratische Eisdiele
     
    Thea Dorn isst ein Eis und geht zur Bundestagswahl.
     
    Was haben eine Eisdiele und ein Wahllokal gemein? Nichts, sollte man annehmen.
    Warum beschlich mich vor wenigen Tagen bei schönstem Eisdielenwetter am Kurfürstendamm dennoch das Gefühl, es wäre bereits Sonntag und die Frage lautete nicht: »Choc Choc Chip, Strawberry Cheesecake, Cream Crisp Vanilla oder Macadamia Nut ?«, sondern »CDU, SPD, FDP oder DIE GRÜNEN?«
    Wer in der anstehenden Bundestagswahl eine Richtungs- oder gar Schicksalswahl sehen will, muss sich den Dreijährigen in der Seele bewahrt haben, dessen Welt in Trümmer geht, wenn er Choc Choc Cbip ins Waffelhörnchen bekommt, obwohl er Strawberry Cheesecake viel lieber mag. Vermutlich würde eine schwarz-gelbe Regierung in Sachen Mindestlohn oder Atomausstieg ein paar Dinge anders regeln als eine Große Koalition – oder die Ampel oder Jamaika, um auch die unwahrscheinlicheren Kreationen des Spätsommers zu nennen. Im Großen und Ganzen wird die Bundesrepublik auf demselben Kurs weiterstampfen und -schnaufen, auf dem sie sich seit Jahren bewegt. Alle der genannten Parteien werden die Bundeswehr aus Afghanistan abziehen, sobald der Einsatz noch heikler und verlustreicher wird, als er es bislang schon ist. Alle werden ihr Bestes tun, um bei den Burgfestspielen zur Rettung des Weltklimas den Ehrenwimpel zu erringen. Keine der Parteien wird die Steuern senken. Niemand, auch nicht die vermeintlichen Marktradikalinskis, wird die Leute auf der Straße verhungern lassen. Die Einzigen, die der Wähler von der Kommandobrücke fernhalten sollte, will er weiterhin Eis am Kurfürstendamm genießen und nicht Eisbergsplitter vom Deck der Titanic fegen, sind Robin Rotkäppchen, Little Oskar und deren Spaß- und Spießgesellen.
    Was sagt es nun aber über den Zustand unserer Demokratie aus, wenn die Dramatik der Entscheidung, an welcher Stelle auf dem Wahlzettel ich meine Kreuze mache, auf die Dramatik der Entscheidung zwischen Schokolade und Erdbeer-Käsekuchen zusammenschmilzt? »Langweilig, jedoch erfreulich stabil und friedlich«, muss die Erstdiagnose wohl lauten.
    Viel wurde in den vergangenen Wochen geredet und noch mehr geschrieben über das angebliche Ende der Volksparteien. In Wahrheit hatten wir noch nie so viele Volksparteien wie heute – gleich vier an der Zahl. Die Tatsache, dass sich das Volk nicht länger in zwei mehr oder minder homogene weltanschauliche Blöcke teilt, die sich mehr oder minder feindlich gegenüberstehen, darf nicht zu der Annahme verleiten, unsere Gesellschaft bzw. unser Parteiensystem habe keine Bindekräfte mehr, sei heillos zersplittert. Im Gegenteil: Alle sind sich

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