Ach, Herbert (German Edition)

Damals habe ich Herbert vorher eine lange Liste zum Abarbeiten gegeben. Und er hätte sich niemals getraut, meinen Anweisungen zu widersprechen, weil ihm die ganze Sache mit dem Kinderkriegen ziemlich gefährlich und unheimlich vorkam. Damals brauchte man die Väter ja nur zur Zeugung und nicht im Kreißsaal. Und außerdem sind wir in unserer Ehe immer am besten klar gekommen, wenn ich ihm deutlich gemacht habe, wann und womit er mir eine Freude machen kann. Deshalb habe ich auch vor langen Jahren begonnen, Herberts Spontaneität in die richtigen Bahnen zu lenken. Das heißt, ich bestimme, wann er spontan ist. So gibt es auch keine bösen Überraschungen. Außerdem blieb er ja zu Hause, jetzt ist es ganz anders, da muss er in die Fremde.
    Wieso denkst Du, dass Herbert zu alt für einen Kurschatten ist? Guck Dir doch einmal Johannes Heesters an, der hat eine Frau, die ist jünger als seine Tochter. Daran mag ich gar nicht denken. Du machst mir richtig Angst. Das will ich mir nicht einmal vorstellen. Wie soll so ein junges Ding wissen, was für ihn gut ist? Und mit 25 haben so Frauen ja auch Ansprüche an einen Mann, Mensch – das bringt der Arme doch gar nicht mehr. Bei seinem Gesundheitszustand!!!! Deswegen braucht er doch eine Kur.
    Ach ja, zur Selbstverteidigung für Frauen will ich auf keinen Fall. Was soll ich da? Und dann dieser komische Name! Wing Tsung – das hört sich an wie ein chinesisches Reisgericht mit Huhn. Und dass chinesische Reisgerichte ausgerechnet Frauen bei der Selbstverteidigung helfen, kann ich auch nicht glauben. Aber Du kannst mir gerne mal davon erzählen. Ich bin ja nicht altmodisch.
    Ganz liebe Grüße,
    Deine Else
    PS: Ich habe Herbert noch nichts gesagt
     
    17. Oktober
    Liebe Else,
    der Kurs ist wunderbar. Ich kann jetzt schon Frühstücksbretter durchhauen! Ich stell mir gerade vor, ich sitze in einem dieser gehobenen Lokale, wo die Kellner so vornehm sind, dass sie nicht mal mehr geradeaus gucken können. Wenn dann der Service nicht stimmt, könnte ich einfach kommentarlos so ein Frühstücksbrett zerschlagen. Da würde der Kellner aber spuren.
    Du musst Dir um Herbert wirklich keine Sorgen machen. Er ist so an Dich gewöhnt, der geht nicht fremd. Außerdem ist er ein Tanzmuffel. Nicht mal bei Eurer Silberhochzeit hat er mit Dir getanzt. Und Kurschatten trifft man immer beim Kurtanz in der örtlichen Kneipe. Das ist doch nichts für Herbert.
    Und warum machst Du Dir solche Sorgen, weil er so weit weg muss? Damp ist mal gerade gut 50 km entfernt. Das ist doch nicht in der Fremde.
    Also, genieße die Zeit ohne Deinen Mann, er ist so an Dich gewöhnt, er kommt gerne wieder zurück.
    Liebe Grüße,
    Deine Anne
     
    22. Oktober
    Meine liebe Anne,
    wozu ist es gut Frühstücksbretter zu zerhauen? Außerdem habe ich gar keine mehr, wir nehmen jetzt die Teller von meinem guten Service. Das hab ich von meiner Patentante zur Konfirmation gekriegt und es gefiel mir schon damals nicht. Ich dachte, wenn wir es oft benutzen, geht es schneller kaputt. Aber sie hat mir bis zu ihrem Tode Ersatzteller geschenkt. Es gab auf dieses Service 30 Jahre Nachkauf Garantie. Wie schrecklich! Jedes Jahr an meinem Geburtstag packte ich, als sei ich total außer mir vor Freude, drei neue Teller aus. Ich habe mich nie getraut, ihr zu sagen, wie scheußlich die waren. Sie war doch sonst eine ganz liebe Frau. Und deshalb sitze ich hier auf meinen Tellern und benötige keine Frühstücksbretter.
     
    Ich bin etwas traurig. Irgendwie schätzt Du Herbert nicht richtig ein. Du hältst ihn für einen lahmen, alten Nichttänzer. Das finde ich beleidigend. Und beleidigen tue ich meinen Mann lieber selbst.
    Außerdem haben wir bei unserer Verlobung getanzt. Und früher war Herbert wirklich ein ganz schöner Feger. Ich hatte allen Grund, eifersüchtig zu sein. Meinem Herbert haben ganz viele Frauen schöne Augen gemacht.
    Natürlich weiß ich, dass die Entfernung nach Damp nicht so weit ist. Aber er muss einmal in Eckernförde umsteigen und außerdem vor zwölf Uhr mittags in der Klinik sein. So ist er von 9.09 Uhr bis 10.41 Uhr unterwegs und in Eckernförde hat er nur noch 24 Minuten zum Umsteigen in den Bus. Und den Busbahnhof muss er ja auch noch finden. Da wird mir doch ganz mulmig.
     
    In Indien sollen sie ja mal allein Reisende gekidnappt und ihnen dann die Nieren entfernt haben. Die armen Menschen wachten dann ohne Nieren wieder auf. Das ist doch furchtbar.
    Es ist alles nicht so einfach in der heutigen Zeit.
    Ganz