Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 2
dem Sauerland und Heidelberg knüpfen. Ildiko, meine japanische Brieffreundin, lernte ich im vergangenen Jahr auf dem Drachenfels kennen.
Fünftens: Man spart sich lange Anfahrtszeiten, im Fall vorübergehender finanzieller Einschränkungen sogar die Übernachtungskosten. Wie? Indem man einfach jeden Abend wieder nach Hause fährt.
Und dann ist da natürlich noch der ökologisch-politisch-pädagogische Effekt von Reisen innerhalb Deutschlands, ein Phänomen, das man sich aber am besten von meinem Freund Chris erklären lassen sollte.
Der ökologisch-politisch-pädagogische Effekt von Reisen innerhalb Deutschlands
oder die Angst, die eigenen vier Wände
zum Urlaubsdomizil anderer deklarieren zu müssen
Als mein alter Freund Chris im Januar anruft und fragt, ob ich am dritten Wochenende im Juni schon etwas vorhätte, schaue ich auf den Kalender und sage: »Nein.«
Das ist vielleicht ein wenig voreilig.
»Hanna, das Baby und ich machen dieses Jahr nämlich ein Experiment«, sagt Chris. »Wir machen Urlaub in Deutschland, und zwar ohne die Haushaltskasse zu belasten. Wir haben nämlich festgestellt, dass wir viele Freunde und Verwandte haben, die an sehr hübschen Fleckchen in diesem Land wohnen.«
»Ich verstehe«, sage ich und zitiere: »Die Welt zu Gast bei Freunden. Seid ihr denn in finanziellen Schwierigkeiten?«
»Aber nein«, sagt Chris. »Im Gegenteil. Mein Europa-Patent auf kohlefreie Filteranlagen von Klärteichen hat mir und meinem Partner im letzten Jahr Millionenumsätze eingebracht. Aber das ist doch kein Grund, das Geld jetzt für teure Interkontinentalflüge und Fünfsternehotels rauszupulvern. Weißt du eigentlich, wie viel Kerosin so ein Flugzeug …?«
»Ja«, sage ich, denn Chris hat mir das schon oft erklärt. Ihm verdanke ich auch meine Kenntnisse über Tenside in Waschmitteln, Pestizide in Gemüse und Feinstaubausstoßvon Fahrzeugen. Chris und ich kennen uns von früher, aus meiner kurzen Zeit als Baumbesetzer. Wenn man einen ganzen Tag auf zwei benachbarten Bäumen hockt, während sich unten Stadträte, Baumfällkommandos, Journalisten und Umweltaktivisten heftige Wortgefechte liefern, kommt man sich automatisch näher. Wenn auch nicht körperlich. Ich erfuhr damals viel über Chris und seine Pläne, aus alten Konservendosen Windräder zu bauen, Indien mit einem Fahrrad zu erkunden und in einer Höhle mit Grasdach zu leben. Ich fand Chris’ Träume wunderschön und beneidete ihn um seine Ideale, vielleicht hätte ich mich sogar in ihn verliebt, wenn er nicht immer diesen seltsamen braunen Wollpullover angehabt hätte, der selbst mit einer Baumlänge Abstand noch Schafspipigeruch verströmte.
»Im Juni kommt uns ein alter Freund von mir besuchen«, sage ich zu Frank. »Du wirst ihn mögen: Er hat ein Patent für Windräder aus alten Konservendosen und kennt sich mit solarbetriebenen Fahrzeugen bestens aus.«
»Na toll«, sagt Frank, weniger begeistert, als ich gedacht hätte. »So eine Biogurke aus deiner Ökozeit.«
»Ich bin immer noch ein Öko«, sage ich.
Frank lacht. »Du meinst, weil du keinen Weichspüler benutzt und Paprika von Füllhorn einkaufst?«
»Zum Beispiel«, sage ich, und bevor Frank mich nach weiteren Beispielen fragen kann, setze ich schnell hinzu: »Ich bin gespannt, wie seine Frau so ist. Weißt du, ich war nämlich auch mal beinahe in ihn verliebt.«
»Aha«, sagt Frank und kneift seine Augen zusammen. »Da bin ich ja dann auch mal gespannt.«
Der Juni kommt schneller als gedacht. Einen Tag vorChris’ Ankunft mache ich, was ich immer tue, wenn Besuch kommt: Ich putze das Haus, kaufe Unmengen von Lebensmitteln ein und überziehe das Gästebett frisch. Es ist mir sehr wichtig, dass sich Chris und Hanna bei uns wohlfühlen. Ich habe gern Übernachtungsgäste, und ich bilde mir sehr viel auf meine Gastgeberqualitäten ein. Für das Baby hole ich das alte Reisebettchen und die Wickelauflage unseres Sohnes vom Dachboden und setze einen Teddy auf das Kopfkissen. Einen Strauß Rosen aus dem Garten arrangiere ich auf dem Nachttisch. Zum Schluss sprenkele ich noch ein paar Tropfen ätherisches Orangenöl in die Ecken. Das wirkt entspannend und anregend zugleich.
Dann muss ich auch schon los, um Chris und seine Familie in Köln am Bahnhof abzuholen.
»Wieso fahren sie eigentlich nicht mit ihrem Auto?«, fragt Frank.
»Sie haben keins«, sage ich. »Sie wollen auf keinen Fall die Umwelt belasten.«
»Aber sie belasten die Umwelt doch genauso, wenn du ihretwegen mit
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