Ach waer ich nur zu Hause geblieben
vorübergehend auf, straffte seine Schultern und rückte todesmutig das Sofa von der Wand ab.
Es nutzte nur nichts: Der Skorpion war verschwunden. Wir konnten ihn nirgendwo entdecken. Dummerweise aber genügend Ritzen in Boden und Wand, die genug Raum boten für einen Skorpion.
»Er wird wieder nach draußen gegangen sein«, meinte Heini. So ein Heini. Aber an seiner Stelle hätte ich das natürlich auch gesagt.
»Ja«, sagte ich. »Möglicherweise ist er wieder nach draußen gegangen.«
Möglicherweise aber auch nicht.
»Schlafen Sie gut«, sagte Heini und wünschte uns noch angenehme Träume.
Aber wir schliefen nicht gut. Wir schliefen überhaupt nicht. Wir ließen die ganze Nacht das Licht brennen, um den Skorpion sofort zu sehen, wenn er sich dem Bett näherte, und wir hielten abwechselnd Wache. Vivi summte »Somewhere over the rainbow«, und dabei dämmerte ich kurz mal weg, nur um sofort wieder hochzuschrecken, weil ich von einem Skorpion auf dem Kopfkissen geträumt hatte.
Am Morgen waren wir wie gerädert. Wir verschoben den Besuch im Städtchen und legten uns im Schatten der Olivenbäume auf unsere Liegen. Zum Lesen waren wir zu müde.
»Und du bist sicher, dass Skorpione tagsüber nicht herumlaufen und Leute stechen?«, fragte Vivi.
»Ganz sicher«, sagte ich, und da fielen mir auch schon die Augen zu.
Erst abends um sechs fühlten wir uns kräftig genug, die Liegen zu verlassen. Wir schlenderten hinab ins Städtchen, aßen zu Abend und verbrachten dann die Nacht am Pool, wo wir in Decken gewickelt Wein tranken und über unsere Schwiegermütter lästerten, während unsere Blicke emsig über Boden und Wände huschten. Immer wenn wir müde wurden – man muss bedenken, dass wir zwei Jahre Schlafmangel nachzuholen hatten – gingen wir eine Runde schwimmen. Das anschließende Zittern und Zähneklappern machte uns wieder frisch und munter.
Die Sonne ging auf, die Skorpione legten sich schlafen, und Vivi und ich streckten uns auf unseren Liegen aus. Bevor wir einschliefen, sagte Vivi: »Man kann sich daran gewöhnen, nicht wahr?«
»Hm, ja«, murmelte ich schlaftrunken.
Als unsere Männer am Abend anriefen und sich erkundigten, ob wir endlich ausgeschlafen seien, konnten wir diese Frage durchaus bejahen.
Alles in allem wurde es ein erholsamer Urlaub: Wir schliefen den ganzen Tag und verbrachten die Nacht mit Schwimmen, anregenden Gesprächen und Getränken. Sogar ein paar Romane schafften wir zu lesen, wobei wir aber immer auch den Boden und die Wände wachsam im Auge behielten. Bis heute kann ich tagsüber viel besser schlafen als des Nachts, es ergibt sich ein Tagesschläfchen nur höchst selten, außerdem fehlt mir zu Hause der Pool.
Der Skorpion tauchte übrigens den ganzen Urlaub über nicht mehr auf, und wir sahen auch keinen anderen.
Im folgenden Jahr aber mieteten Freunde von uns Heinis schönes Häuschen, und sie erzählten von einem Skorpionnest, das sie im Bilderrahmen des Kandinsky-Druckes über dem Sofa gefunden hatten. Vierzehn Skorpione waren in alle Richtungen davongekrochen und in allen möglichen Ritzen verschwunden.
Schrecklich! Ich hätte kein Auge mehr zugetan. Und Heini war nach diesem Erlebnis sicher nach Fuhlsbüttel zurückeingewandert.
Holykuhphobie
oder die Angst vor Erleuchtung
Wegen meiner profunden Ängste habe ich noch nicht wirklich viel von der Welt gesehen. Und wenn, dann immer nur aus Versehen oder weil ich es nicht besser wusste.
Noch nie war ich in einem Land, in dem man Wasser abgekocht zu sich nehmen sollte oder als Frau nur verschleiert in der Öffentlichkeit herumlaufen darf. Länder, in denen man das Hotel nur in bewaffneter Begleitung verlassen und Bargeld in der Unterhose verstecken sollte, habe ich ebenso gemieden wie solche, in denen Insekten lästige Krankheiten übertragen. Die Mückenstiche, die meine Freundin Vivi vor acht Jahren aus ihrem Thailand-Urlaub mitgebracht hat, jucken heute noch wie am ersten Tag. (Und wenn du mich fragst, sind das auch gar keine Mückenstiche, Herzchen. Irgendwann werden sie aufbrechen, und winzig kleine Spinnen werden herauskrabbeln …)
Für mich ist es auch eine schreckliche Vorstellung, ein Land zu bereisen, in welchem sich einem die bettelnden Hände von mageren Kindern entgegenstrecken, sobald man den klimatisierten Reisebus verlässt.
»Dadurch, dass du da nicht hinfährst, geht es den Kindern aber auch nicht besser«, sagt Insa, die heuer eine Reise nach Indien organisiert. Im Gegenteil, sagt Insa, ich
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