Love Takes a Detour - Liebe auf Umwegen
Endlich nicht mehr allein unter Männern
Meine drei Brüder, Papi, Opa Lila und ich saßen im Wintergarten am Esstisch und genossen ein ausgiebiges Sonntagsfrühstück. Papi wirkte irgendwie abgelenkt. Er tat ganz geheimnisvoll, zwinkerte uns zu und murmelte etwas von einer Überraschung. Schließlich zog er einen Brief aus der Brusttasche und las ihn vor:
“Dear Mr Klapdor, The au pair → agency gave me your address. Thank you so much → for hiring me . My name is Chris Gerrick, I’m 19 years old and I’ve just finished school. I’m very much looking forward to spending six months in your lovely town with you and your family. My bags are already packed, and I can’t wait to come. → Best regards , Chris.” Papi sah auf. “Na, was sagt ihr?”
“Ich hab die Hälfte nicht verstanden”, maulte mein siebenjähriger Bruder Ronny.
“Wir kriegen Besuch, der ziemlich lange bleibt”, erklärte Sven, der drei Jahre älter ist als Ronny, und dreimal so klug. Behauptet er.
“Nein, nicht Besuch”, sagte Papi. “Chris ist ab morgen unser Au-pair-Mädchen.”
“Wozu brauchen wir ein Opern-Mädchen?”, fragte Ronny. “Schlimm genug, dass Mami dauernd singt.”
“Es heißt Oh-peer-Mädchen”, korrigierte Sven.
“Genau. Ist das nicht toll? Chris wird sich um euch kümmern und euch versorgen, putzen, kochen, alles. Super, was?” Papi strahlte uns erwartungsvoll an.
Ich war die Einzige, die zurückstrahlte. Seit zwei Wochen war ich die einzige Frau im Haus. So konnte es nicht weitergehen, ich brauchte dringend weibliche Verstärkung.
“Kann diese Chris auch Spaghetti kochen?”, fragte Opa Lila. “Al dente, wenn’s geht.”
“Klar”, behauptete Papi hemmungslos. “Das ist die wichtigste Voraussetzung, die man erfüllen muss, wenn man sich um eine Au-pair-Stelle bewirbt.”
“Und spricht sie auch Deutsch?”, hakte Opa nach.
Papi reichte ihm das Körbchen mit den Croissants. “Weiß ich nicht. Aber das ist ja auch nicht so wichtig, denn die Kinder können fließend Englisch, nachdem sie praktisch in England aufgewachsen sind.”
Eine gnadenlose Übertreibung. Wir hatten mal ein Jahr lang in London gelebt, als Mami ein Engagement am Royal Opera House hatte.
“Was sagt denn Carina dazu, dass du dir so ein hübsches junges Ding ins Haus holst?”, fragte Opa Lila.
Carina ist unsere Mutter und Opa Lila ihr Vater. Er lebt bei uns, seit er Witwer ist.
“Das Ganze war eigentlich Carinas Idee”, verteidigte sich Papi. “Außerdem kommt Chris, um sich um die Kinder zu kümmern, nicht um mich. Und wer sagt überhaupt, dass sie hübsch ist? Wahrscheinlich sieht sie ganz durchschnittlich aus.”
Ronny zerrupfte ein Croissant. “Ich will kein durchgeschnittenes Kindermädchen.” Er versteht Sachen absichtlich falsch, um Sven zu ärgern.
“Durchschnittlich heißt mittelmäßig”, verbesserte Sven ihn prompt.
“Wozu brauchen wir überhaupt ein Kindermädchen? Ist ja oberpeinlich”, meinte mein älterer Bruder Tom gähnend. Er gähnt ständig, sogar im Schlaf.
“Solange noch Schule ist, seid ihr wenigstens vormittags beschäftigt”, sagte Papi. “Da ginge es auch ohne Kindermädchen. Aber bald beginnen die Sommerferien. Ich will nicht, dass ihr die ganze Zeit allein und ohne Aufsicht herumhängt.”
Was er nicht dazu sagte, war, dass Opa Lila mindestens dreimal so viel Beaufsichtigung nötig hatte wie wir vier Kids zusammen, weil er ständig Unfug trieb. Er meinte, er sei endlich alt genug, um all das nachzuholen, was er in seiner Jugend versäumt hatte, zum Beispiel sich die Haare grün färben und ein Glückschweinchen auf die Schulter tätowieren lassen.
“Ich schlaf in den Ferien sowieso bis mittags”, sagte Tom.
“Eben.” Papi gab es auf, die Jungs durch sein krampfhaftes Lächeln für das Au-pair-Mädchen zu erwärmen. “Weil du immer nur pennst, bist du keine große Hilfe. Aber wenn ihr absolut nicht wollt, dann sage ich der Agentur wieder ab, und wir erstellen zusammen einen Arbeitsplan für den Haushalt, in dem alle Aufgaben gerecht verteilt werden.”
“Wir könnten in den Ferien bei Mami wohnen”, schlug Sven hastig vor.
“Sie hat dort nur eine Zweizimmer-Wohnung.”
Mit “dort” meinte Papi Mailand.
Vor Kurzem war nämlich Mamis größter Traum in Erfüllung gegangen: ein Engagement an der berühmtesten Oper der Welt, der Mailänder Scala.
Leider konnten wir nicht mit ihr nach Mailand umziehen, so wie damals nach London, weil Papi inzwischen eine feste
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