Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer

Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer

Titel: Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
Vom Netzwerk:
piekt und beschleunigt das Band auf 14 Stundenkilometer. Sie sieht aus, als ob sie das gern macht. Das wäre Monas Traumjob: ich auf dem Band und sie dreht immer schneller. Ich wetze wie ein Hase. Luft. Die Laktat-Produktion hat sich auf den ganzen Körper ausgedehnt. Ich überlege, wie man jetzt überzeugend einen Muskelfasserriss vortäuschen könnte? Eher mit einem lauten »Aahhh« oder besser durch ein kurzes gedrungenes »Ümpf«? Noch 20 Sekunden. Geschafft. Lunge, komm bald wieder.
    In Sekundenschnelle gepiekt. Was früher eine Pause war, ist jetzt ein Hauch. Ich hechele. 16 Stundenkilometer. Das Band rumpelt. Genau mein Infarkttempo. Es läuft los und reißt mich mit. Los, Achilles, keine Schwäche, zieeehhh! Ich sauge die Gummimaske komplett leer, aber es kommt keine Luft mehr rein. Atemnot. Ich muss sterben. Ich reiße mir das verdammte Stinkeding vom
Kopf. Wortlos beobachtet die Assistentin einen gescheiterten Mann und piekt ihm ungerührt ins Ohr. Ich suche die sanitären Anlagen auf. War ich gut? Na ja. Schlecht war ich nicht.
    Das bestätigt auch die Diagnose vom Doc Dimeo. Er hat mir sehr viele spannende Dinge über mich verraten, manche waren nicht mal peinlich. Aber sie werden mein Geheimnis bleiben. Der Tag der Wahrheit kommt.

Laktatsachen
    Bedenkt man, was der Läufer im Jahr so alles ausgibt, um sich sein Hobby nett zu machen, dann fallen etwa 100 Euro für einen leistungsdiagnostischen Test nicht wirklich ins Gewicht. Die Kurve, die der Arzt anfertigt, bringen dem Läufer allemal mehr als das siebte Paar Hochtechnologie-Schlappen. Denn der Test auf dem Laufband hat für Anfänger wie für Fortgeschrittene einen entscheidenden Vorteil: Er ist unbestechlich. Deswegen müssen Profis regelmäßig zum Show-Laufen. Hier wird die Form überprüft, ohne Ausreden, schonungslos ehrlich. Was man vom Hobby-Läufer nicht unbedingt sagen kann. Fast jeder hat sich über die Jahre ja ein komplexes Gewirr von Mythen zurechtgelegt, warum er eigentlich viel schneller und länger laufen könnte. Wer die mentale Kraft auf bringt, sich die Wahrheit anzuhören, erfährt zum Beispiel Wissenswertes über seine Sauerstoffaufnahmekapazität und mögliche Bestleistungen. Ein Fachgespräch mit dem Sportmediziner kann das eigene Training deutlich effektiver gestalten. Am wichtigsten aber, für Herrschaften um die 50, die sich und der Welt unbedingt noch etwas beweisen wollen: Ein Test kann Hinweise auf verborgene Herz-Kreislauf-Probleme liefern. Und einen elenden Infarkt mitten im Wald verhindern helfen.

Achtung Dehydrierung. Gefahr, Alarm. Trinken, Trinken, Trinken. Manche übertreiben die Flüssigkeitszufuhr. Eine Wasserstandsmeldung.
    Â 
    Mein Vater hat immer gesagt, dass zu viel Flüssigkeit ungesund ist. »Trink nicht immer, dann schwitzt du auch nicht«, lautete eine seiner ewigen Weisheiten. Trinken war ein Zeichen von Schwäche. Und Urin nur dann gut, wenn er richtig goldgelb schimmerte. Meine Mutter stellte jedes Jahr bei der Urlaubsfahrt gen Italien einsame Rekorde in punkto Harnverhalten auf. Sie traute sich nicht zu sagen, dass sie gern auf dem nächsten Parkplatz halten würde, um nur mal eben ganz schnell, ganz kurz auszutreten. Sie fürchtete das gestöhnte »Schon wieder!« des pilotierenden Familienoberhauptes, der einer festen Marschtabelle folgte, über Jahre hinweg auf Staufreiheit hin optimiert. Der Urlaub galt nur dann als wirklich gelungen, wenn wir exakt in dem von ihm ausgerechneten Idealslot zwischen 18.30 und 19 Uhr den Brenner passierten.
    Mona ist eine moderne Frau. Wenn wir nach Italien fahren, hat sie drei Flaschen Evian im Fußraum. Vorwärtsverteidigung für den Bikinikrieg am Strand. Claudia Schiffer und Naomi Campbell versichern jeder Frauenzeitschrift, dass das einzige Geheimnis ihrer Schönheit darin bestehe, mindestens drei Liter Wasser
zu trinken, am Tag. Völlig automatisch hebt Mona jede Minute einmal eine Flasche, schraubt den Deckel ab, nippt, verschraubt, stellt ab, hebt an, schraubt auf, nippt, schraubt zu. Ritualverhalten  – wie die zerzauste Löwin, die lange Jahre in einem engen Zoogehege zugebracht hat.
    Mona lässt keinen Parkplatz aus. Deswegen brauchen wir heute auch genauso lange nach Italien wie vor 35 Jahren. Kennzeichen unserer Zivilisation ist nicht Tempo und Technik, sondern Flüssigkeitsumsatz. »Dehydrieren ist

Weitere Kostenlose Bücher