Freitags wird gebadet, aus dem Tagebuch eines Minderjaehrigen
1
Wenn Vater in die Wanne steigt, tut er so feierlich, als stiege er in die Ostsee. Zunächst riskiert er nur die Füße, dann geht er mißtrauischen Blickes in die Hocke und schreit: „Kaltes! Kaltes!“
Mama hält den Eimer wie einen Feuerlöscher bereit. Sie gießt nach. Und Vater rutscht gemächlich Zentimeter um Zentimeter horizontal unter die Wasserfläche. Bis zum Eichstrich. Er pustet und schnauft, liegt wie gelähmt und sagt friedlich: „So, Liesel, nun kannst du wieder heißes zutun.“
Bald wird er ganz still, atmet tief drei Morgen Fichtennadelwald, den wir in Tabletten eingekauft haben. Und plötzlich geschieht etwas: Papa lächelt, mein Papa lächelt! Dazu hat er selten Zeit. Sein Gesicht ist immer im Dienst.
Das alles läuft jeden Freitag so ab. Auch an jenem Freitag, von dem ich erzählen will, war es nicht anders.
Aber nun haben wir glücklicherweise ein Telefon. Kein Mensch denkt an das Telefon, plötzlich denkt das Telefon an uns.
Es klingelt vorlaut.
Mein Papa schrie: „Ich bin nicht da, Heinz! Hörst du, ich bin nicht da.“
Ich vergewisserte mich. Vater stand im roten Bademantel auf dem Flur und war nicht da.
„Hab verstanden, du bist gleich da.“ Das sagte ich natürlich nur so aus Jux.
„Ich habe gesagt, daß ich nicht da bin!“
Und nun kam noch Mama aus der Küche und meinte sanft: „Heinz, Papa ist nicht da.“
„Is ja schon gut“, antwortete ich gelassen und guckte meinen nicht daseienden Vater an. Schließlich ist mir bekannt, daß Papa ganz allein über seine Anwesenheit bestimmt. Bei mir hingegen ist das viel unkomplizierter: Ich muß immer dasein, wenn ich da bin.
Am Telefon war Herr Knopke.
„Richard?“
„Nein, hier ist d’r Heinz, Herr Knopke.“
„Hol maln Vater an die Strippe!“
„Der ist gar nicht da“, sagte ich scheinheilig in die Muschel und wurde trotzdem rot. Immer wenn ich schwindeln muß, werde ich rot. Am Telefon ist das bequem und egal. Am Telefon kann man rot werden, ohne daß es der andere überhaupt merkt.
„Wo ist er denn, Heinz?“
Und da hatte ich große Lust zu sagen: Ich werde ihn gleich mal fragen, er steht hinter mir. - Das ging aber nicht; denn Papa stand jetzt dicht neben mir, schubste mich, fuchtelte mit den Armen, zog Grimassen und zeigte in Richtung Niederdorf.
„Er ist im Niederdorf“, sagte ich zu Herrn Knopke.
Papa nickte anerkennend, so lobend, wie wenn ich eine Eins in Betragen erhalten hätte.
„Beim Lätsch-Emil?“
„Genau dort“, antwortete ich erleichtert und war froh, daß mir Herr Knopke sagte, wo mein Vater war. Papa dagegen tippte sich mehrmals an die Stirn und meinte meine.
„Da kann er aber nicht sein; denn vom Lätsch-Emil aus rufe ich an.“ Bums - hingehängt.
„Jetzt ist der eingeschnappt“, bemerkte mein Vater sehr treffend. „Und du Dussel läßt dich von dem glatt aufs Kreuz legen.“ Mit dem meinte er Herrn Knopke, und Herr Knopke arbeitet wie er auf unsrer Genossenschaft. „Für ein bißchen pfiffiger hätte ich dich wirklich gehalten“, fügte Papa hinzu.
Und da saß ich mit meinen vier Einsen. Ich war schuld, und ich hätte ein paar Nachhilfestunden im Telefonieren nötig gehabt.
Mein Vater machte ein Gesicht, daß es aussah, als schaffe er es mit einem Gesicht gar nicht. Bloß meine Mama schätzte die Situation real ein und sprach mit mir, wenn auch leise und nur über den Geschmack der Wurst. Bei uns ist es manchmal so: Vater hat die Argumente, Mutter die Gefühle. Beides in einer Person stelle ich mir prima vor. Und gehen bei Papa die Argumente mal aus, setzt er sich durch. Sozusagen aus Zeitmangel. Ich bin eben in unserer Familie die kleinste Person mit dem schwersten Posten: Ich muß mich erziehen lassen. Solange ich das nicht merke, mache ich mit.
Als ich nun mit Mama die Wurstgespräche ausgiebig durchgekaut hatte - sehr leise, versteht sich - und nur noch Pelle und Heringsgräten die Teller verunstalteten, fragte meine Mutter, wie es in der Schule gewesen wäre. Ich kriegte plötzlich den Husten und bellte mir die Verlegenheit aus dem Halse; denn die Frage war viel zu früh gestellt. Aber Mama konnte nicht wissen, daß es an diesem Tage nicht so wie an anderen war, und deshalb würde es eine Diskussion geben. Für eine Diskussion standen meinem Vater runde fünfzehn Minuten zur Verfügung; es war Viertel vor acht, und Punkt acht saß er freitags vor dem Bildschirm, um sich den Film anzusehen. Und diese fünfzehn Minuten hätten gereicht, um mich restlos
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