Achilles Verse
von sibirischen Dimensionen.
Davon lässt sich Achim Achilles nicht unterkriegen. Er ist ein Kämpfer, ein stiller Held des Alltags, ein Gebrauchsphilosoph. Auf kleinen Läufen durchdenkt er die ganz großen Probleme der Menschheit. Darf man ausschließlich zum Zwecke der Selbstqual in Laufschuhe zu 150 Euro steigen, die am anderen Ende der Welt zu Hungerlöhnen zusammengenäht wurden? Sind Politiker, die laufen, die besseren Volksvertreter? Ausdauersportler die besseren Liebhaber? Und warum muss man bei Trainingsläufen immer
genau dann auf die Toilette, wenn man am weitesten von einer entfernt ist? Achim Achilles motiviert ohne zu drängeln, er lehrt ohne zu schulmeistern, er hilft ohne zu quälen.
Dieses Buch verkündet keine endgültigen Wahrheiten, es versucht es nicht einmal. Dennoch gibt es Tipps und Hinweise für ein ganzes Läuferjahr, vom mühsamen Leistungsaufbau im Winter bis zum Feilen am Tempo vier Wochen vor dem Wettkampf des Lebens. Am Ende jeder Kolumne erfahren Anfänger Grundsätzliches und Fortgeschrittene womöglich noch etwas Neues. Diese Tipps und Anregungen fügen sich zu einer Laufschule für halbwegs systematisches, womöglich sogar erfolgreiches Training.
Ob diese Hinweise wirklich helfen, muss jeder Läufer an sich selbst ausprobieren. Achilles’ Verse sind so individuell wie jeder einzelne Läufer. Eine Erfahrung ist jedoch allen gemein: Wer einmal anfing, der absolviert nicht nur zwei, drei, zehn Stunden Galopp die Woche, sondern beginnt ein neues Leben.
Laufen ist die große Freiheit, jedenfalls manchmal, für ein paar Sekunden. Nirgends ist das Leben leichter und unkomplizierter als auf einem strammen Schlussspurt. Jeder Athlet ist frei zu entscheiden, ob er Materialschlachten und Zehntelsekundenjagden mitmacht oder ob er in den alten ausgebeulten Jogginghosen jahrelang die immer gleiche Runde abzockelt. Jeder Läufer kann jederzeit aufhören. Und jeden Tag aufs Neue wieder anfangen. Laufen, das ist die größte Massenbewegung der Welt. Millionen Verrückte sind dabei. Achim Achilles ist einer von ihnen.
Der Vorsatz ist ein guter. Mal wieder etwas für die Fitness tun. Aber warum ausgerechnet früh am Morgen? Geht es nicht etwas später? Nein, keine Ausrede. Heute muss es sein.
Plöpp … plöpp … plöpp. Dieses Plöppen kann kein Traum sein. Habe ja die ganze Nacht nicht geschlafen. Bei diesem Stechen in der Lunge. Und dann das tückische Ziehen in der rechten Wade. Die gruselgrüne Anzeige des Weckers steht auf halb sechs. Plöpp … plöpp. Und jetzt auch noch Regen. War ja klar. Ausgerechnet am ersten Tag. Meinem Neustart. The morning of a new beginning.
Plöpp … plöpp … plöpp. Was ist, wenn der Regen stärker wird? Und noch Wind aufkommt? Es ist November. Saugefährlich, das nasse Laub auf den Wegen. Lieber im Bett bleiben. Kein Risiko eingehen beim ersten Mal nach dreieinhalb Jahren Sportpause. Ich leide an Morbus Fischer: Ich dachte auch mal, Laufen sei mein Leben. Dann kam die Arbeit. Das Rotwein-Seminar. Dieses Ziehen in der Wade. Die Familie. Und diese Müdigkeit.
Plöpp … plöpp … plöpp. In gut fünf Monaten ist Marathon in Hamburg, vier Wochen später ein weiterer Geburtstag. Und ich habe acht Kilo zu viel. Mindestens. Ich werde in Hamburg starten. Dafür habe ich ein ambitioniertes Trainingsprogramm aus dem Internet geladen. Der Start ist HEUTE. Mona weiß nichts
davon. Niemand weiß davon. Nur Klaus Heinrich, mein Trainingspartner. Er ist auch für Hamburg gemeldet.
Plöpp … plöpp … plöpp. Seit gestern Abend habe ich dieses Kratzen im Hals. Für ein paar Kilometer lockeres Eintraben sollte man keine Lungenentzündung heraufbeschwören. Und dieses Ziehen in der Wade. Fühlt sich gar nicht gut an. Das ist nicht nur eine Muskelverhärtung. Da ist mehr, das spürt man gleich. Geht ja schnell. Eine unbedachte Bewegung. Und zack. Adduktoren wahrscheinlich. Morgen reicht auch.
Plöpp … plöpp … plöpp. Mona grunzt ins Kopfkissen. »Du läufst ja doch nicht«, hatte sie gestern Abend gesagt, »ist ja noch dunkel um halb sieben.« Ich hatte nicht geantwortet. Was auch? Eine entschlossene Replik wäre riskant gewesen, bei einer so labilen Wade. Grinsen hätte auch nicht geholfen. Nur die Tat spricht für sich.
Mona gehört zu den Menschen, die nie das Durchhaltevermögen entwickelt haben, das Läufer auszeichnet, diesen Biss, den Willen dranzubleiben, das Sich-quälen-Können. Mona ist ein Wellness-Mensch; sie glaubt, dass Walken Fett verbrennt
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