Der Kinderpapst
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Mit geschlossenem Mund
gähnend, schielte ich auf meine Armbanduhr, in der Hoffnung, dass die Zeit
dadurch ein bisschen schneller verging.
Es war ein drückend warmer Julitag des Jahres 1981. Seit den frühen
Morgenstunden tagte die päpstliche Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen
in einem Verwaltungsgebäude des apostolischen Palasts. DreiÃig Kardinäle,
Erzbischöfe und Bischöfe hatten sich versammelt, um sich durch ein Gebirge von
Anträgen zu arbeiten, das scheinbar niemals schrumpfen wollte. Während ich
meine Blicke an den schmucklosen Wänden des Konferenzraums entlang schweifen
lieÃ, damit mir die Augen nicht zufielen, oder die Fliegen auf den
Kuchenstücken zählte, die brave Nonnen Seiner Heiligkeit uns zur Stärkung
aufgetischt hatten, folgte ich mit halbem Ohr der Verlesung der Fälle, über die
wir zu beratschlagen hatten. Die Sitzungen der Kongregation für Selig- und
Heiligsprechungen, an denen ich als Prokurator des Heiligen Stuhls und Lizentiat
des kanonischen Rechts regelmäÃig teilzunehmen hatte, waren für mich ein
Beweis, dass der Teufel seine Opfer nicht nur körperlich durch Feuer und
Schwefel quält, sondern mehr noch durch das Folterinstrument des Geistes â die
Langeweile. Wie oft hatte ich das alles schon gehört, diese immer und immer
wieder gleichen Geschichten, aus denen ein lächerlicher, unaufgeklärter, längst
überholter Kinderglaube sprach: hier eine Bilokation, dort eine Wunderheilung,
als würde es auf der Welt von Heiligen und Märtyrern nur so wimmeln. Dabei war
mir in all den Jahren meiner Tätigkeit kein einziges wirkliches Wunder
untergekommen, trotz mannigfach erfolgter Selig- und Heiligsprechungen, ohne
die offenbar die katholische Geistlichkeit immer noch nicht auskommen zu können
glaubte.
Wann würde meine Kirche endlich die Kraft finden, auf diesen
Mummenschanz zu verzichten?
Da wurden plötzlich die Stimmen am Tisch lauter.
»Dieser Papst soll seliggesprochen werden? Ein Mann, der sich der
Hurerei, des Mordes und sogar der Zauberei schuldig gemacht hat?«
»Ja, ich bitte den Heiligen Stuhl, offiziell zu erklären, dass Benedikt IX ., vulgo Teofilo di
Tusculo, in die himmlische Glorie eingegangen ist und öffentliche Verehrung
verdient.«
»Das ist unerhört! Da können wir ja gleich Satan selbst seligsprechen!«
Als hätte der Heilige Geist einen Funken in meiner Seele entfacht,
erwachte ich aus meinem Dämmerzustand. Hatte ich richtig gehört? War wirklich
von Benedikt IX . die Rede? Ich wusste nicht viel
von diesem Papst, kaum mehr, als dass er im 11. Jahrhundert gelebt hatte und
bereits im Knabenalter auf den Stuhl Petri gelangt sein sollte. Doch das
wenige, was von ihm überliefert war, sprach ganz und gar nicht dafür, ihn der
Schar der Seligen zuzuordnen. Dieser unwürdige Stellvertreter Christi stand
vielmehr im Ruf, so lasterhaft wie Caligula und so lüstern wie ein türkischer
Sultan gewesen zu sein: ein der Hölle entwichener Dämon, der sich die Tiara
aufgesetzt hatte, um als Papst verkleidet den Mächten des Bösen zum Triumph zu
verhelfen.
Paul Mortimer, ein Bischof aus Chicago von nicht mal vierzig Jahren,
sprang mit dem Eifer der Jugend von seinem Platz auf, um lautstark gegen den
Vorschlag zu protestieren: »Zwei Voraussetzungen sind zur Seligsprechung
unabdingbar â erstens der Ruf der Heiligkeit der in Frage stehenden Person,
zweitens der Nachweis eines Wunders. Was, frage ich Sie, soll am Leben dieses
liederlichen Papstes heiligmäÃig gewesen sein?«
Jiao Xing, der taiwanesische Kurienkardinal, der diesen überaus
merkwürdigen Antrag auf Eröffnung eines apostolischen Prozesses gestellt hatte,
setzte mit feinem Lächeln und leiser, singender Stimme zur Gegenrede an: »Ich
verstehe Ihre Bedenken durchaus, Bischof Mortimer. Doch hat der Kirchenvater
Augustinus uns nicht gelehrt, nur wer den Stachel der Sünde in seinem Fleische
spüre und der Versuchung dennoch widerstehe, der könne der Seligkeit teilhaftig
werden? Ja, Benedikt IX . kannte die Sünde,
vielleicht inniger und schmerzlicher als alle anderen Päpste und Heilige vor
oder nach ihm, vielleicht hat er zeitweilig sogar mit dem Bösen selbst im Bunde
gestanden â aber ist die Rückkehr eines Menschen zu Gott nicht umso höher
einzuschätzen, je tiefer er zuvor gefallen ist?«
Ein
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