Achtmal kam der Tod Kommissar Morry
seinen Schultern. „Bleib doch hier“, bat sie leise. „Laß mich wenigstens diesen Abend nicht allein. Was soll ich dem Inspektor sagen? Was wird er von dir denken, wenn du davonläufst?“
„Es ist mir gleich, was er denkt“, sagte Edward Clifton heiser. „Ich will ihn nicht sehen. Ich kann das alles nicht mehr ertragen, dein trübseliges Gesicht und diese umflorte Stimme und diese ewigen Vorwürfe . . .“
„Aber Edward! Wer macht dir denn Vorwürfe? Ich stehe doch noch immer an deiner Seite. Ich habe dich bisher gegen jeden verteidigt. Ich nahm dich auch vor dem Inspektor in Schutz. Ich werde es auch heute abend wieder tun. Aber . . .“
„Laß mich zufrieden“, knurrte Edward Clifton mürrisch. „Ich hätte mir von vornherein denken können, was mich zu Hause erwartet. Warum bin ich überhaupt heimgekommen? Ich hätte wissen müssen, daß ich es hier keine drei Minuten aushalte.“
Er wandte sich zum Gehen. Auch die sanftesten Bitten konnten ihn nicht zurückhalten. Er blickte sich nicht mehr um. Wie immer, so führte ihn auch heute sein Weg nach Richmond. Als er das einsame Haus in der Lambert Ave erreichte, wurde sein Gang freier und selbstbewußter. Hier fühlte er sich geborgen. Hier hatten die Widerwärtigkeiten des Lebens keine Macht über ihn. Er wußte jetzt schon, daß ihn die kommenden Stunden über viele Enttäuschungen hinwegtrösten würden.
Rasch trat er in den verschneiten Garten ein. Er sah Licht im Wohnzimmer brennen. Seine Stimmung wurde froh und heiter. Alle Sorgen blieben hinter ihm zurück.
Er drückte auf die Glocke und überlegte sich ein paar nette Worte zur Begrüßung. Vielleicht hatte Hazel heute Abend frei. Vielleicht mußte sie heute nicht in die Havana-Bar. Dann gehörte ihm der ganze Abend und die halbe Nacht. Er drückte zum zweiten Mal auf die Glocke. Im Haus blieb alles still. Umsonst wartete er auf den leichtfüßigen Schritt Hazel Playfords. Sie hatte doch Licht im Wohnzimmer brennen. Warum öffnete sie ihm nicht? Sie war doch da. Drei, vier Minuten verstrichen. Edward Clifton stand noch immer wie ein abgewiesener Bettler vor der Tür. Finster stierte er zu den erleuchteten Fenstern hin. Geld, dachte er verbittert. Wenn ich Geld hätte, wäre ich längst eingelassen worden. Dann könnte ich jetzt den Herrn spielen. Dann würde sie in meinen Armen liegen und . . .
Aber diese Träume waren sinnlos. Mit Illusionen war diese Tür nicht zu öffnen. Da mußte er schon mit gefüllten Taschen erscheinen. Seine Gedanken kreisten um die gläsernen Kapseln, die noch vor ein paar Tagen im Tresor Leslie Carrons gelegen hatten. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren. Wenn er raffiniert zu Werke ging, hatte er vielleicht noch eine winzige Chance. Er überlegte hin und her, während er langsam und gedemütigt den Garten verließ. Man hatte ihn eben zutiefst verwundet. Er war bitter gekränkt in seinem Stolz.
„Sie wird diese Stunde teuer bezahlen müssen“, schwor er sich. „Ich werde wiederkommen. Und ich werde ihr ein Bündel schmutziger Scheine ins Gesicht werfen, daß ihr Hören und Sehen vergeht. Sie wird noch ganz klein werden ... sie wird froh sein, wenn ich mich überhaupt noch um sie kümmere.“
Mit solch törichten Selbstgesprächen suchte Edward Clifton die eben erlittene Demütigung zu überwinden. Er irrte ziellos durch die Straßen. Da er nicht nach Hause wollte, hockte er sich in eine schäbige Kneipe und begann, sich sinnlos zu betrinken. Sein umnebeltes Hirn schmiedete verbrecherische Pläne. Seine Gedanken irrten auf dunklen Wegen. —
Genau zur gleichen Stunde erhielt Marion Clifton Besuch. Als es an der Tür läutete, glaubte sie zuerst, es sei Inspektor Winter von Scotland Yard. Aber gleich darauf mußte sie ihren Irrtum erkennen. Vor ihr standen zwei frühere Kollegen ihres Mannes: James Keeton und Clark Digby. Die beiden Herren ließen sich von ihr ins Wohnzimmer führen und nahmen nebeneinander am Tisch Platz.
„Darf ich Ihnen etwas anbieten?“, fragte sie mit mattem Lächeln.
„Aber ich bitte Sie, liebe Mrs. Clifton“, sagte James Keeton abwehrend. „Wir sind nur gekommen, um Ihnen eine freudige Nachricht zu überbringen. Sie wissen doch, daß wir es immer besonders gut mit Ihnen gemeint haben.“
„Ja, ich weiß“, sagte Marion Clifton tief atmend, und sie blickte James Keeton dankbar an. „Wie oft haben Sie mir Trost zugesprochen! Wie oft haben Sie mir Gesellschaft geleistet, wenn Edward . . . wenn er . . .
„Wo ist er
Weitere Kostenlose Bücher