Achtmal kam der Tod Kommissar Morry
Zeit verging. Wie ein mißgestalteter Zwerg lehnte er an der Bartheke. Und je mehr er trank, desto häßlicher wurde sein Gesicht.
„Wir schließen jetzt, Mr. Digby“, sagte Ann Barnet kurz nach Mitternacht. „Darf ich bitte kassieren?“
Clark Digby zahlte wortlos seine Zeche und gab noch ein reichliches Trinkgeld. Dann entfernte er sich schwerfällig von der Theke und strebte dem Ausgang zu. Die Tische hatten sich inzwischen geleert. Er war der letzte Gast, der das halbdunkle Lokal verließ.
„Warten Sie doch noch einen Moment, Mr. Digby“, rief ihm Ann Bardet nach. „Ich komme mit. Wir werden eine Taxe nehmen, nicht wahr?“
Clark Digby schwankte mit unsicheren Schritten auf die nächtliche Straße hinaus. Ann Bardet schmiegte sich fröstelnd an seine Seite. Vier, fünf Minuten lang warteten sie auf dem windigen Gehsteig.
„Wo bleibt denn nun Ihr Mietwagen?“ lallte Clark Digby mit schwerer Zunge. „Wir werden hier anfrieren, wenn wir noch lange warten.“
Ann Barnet schaute verdrossen nach links und rechts. Nirgends das Licht eines Scheinwerfers. Nirgends das Brummen eines Motors. „Wenn wir uns beeilen, könnten wir noch die letzte U-Bahn erwischen“, sagte sie hastig. „Kommen Sie, Mr. Digby! Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.“
Clark Digby keuchte schnaufend und schwerfällig hinter ihr her. An der Bayswater Station hasteten sie rasch die Treppe in den U-Bahn-Schacht hinunter. Sie lösten ihre Tickets und kamen gerade noch auf den Bahnsteig hinaus, bevor sich die automatische Sperre schloß. Eine halbe Minute später brauste der Zug in die Halle.
„Da haben wir noch einmal Glück gelhabt, wie?“, lachte Ann Barnet.
„Steigen Sie ein, Mr. Digby!“
Sie bekamen ein Abteil ganz für .sich allein. Der Zug war fast leer. Niemand stieg auf den Stationen zu. Winselnd beulte der Fahrtwind an den Wagen entlang. Draußen waren nur die schwarzen Mauern der Schächte zu sehen. Gespenstische Lichtreflexe huschten darüber hin. Das Rattern der Räder klang monoton und einschläfernd.
An der Putney Station machte sich Ann Barnet zum Aussteigen fertig. „Sie fahren noch zwei Stationen weiter, wie?“, fragte sie mit einem raschen Seitenblick. „Oder wollen Sie lieber mit mir kommen?“
Clark Digby hielt ihre Frage für einen albernen Scherz. Er war einfach zu schüchtern, um ihr Angebot ernst zu nehmen. Dabei wäre er sehr gern mit ihr gegangen, nur um diese endlose Nacht nicht allein in seiner Behausung verbringen zu müssen.
„Sie sollten sich rascher entschließen“, sagte Ann Barnet schnippisch. „Na, dann auf ein andermal, Mr. Digby! Kommen Sie gut nach Hause.“
Clark Digby wollte hinter ihr herlaufen, aber da war es schon zu spät. Der Zug fuhr bereits wieder an. Die Wagen donnerten heulend in den nächsten Schacht hinein.
Clark Digby kauerte sich verstört auf seinem Platz zusammen. Schlagartig kam die alte Angst wieder über ihn. Er war jetzt ganz allein im Abteil. Kein Mensch hielt sich in der Nähe auf. Niemand würde ihm zu Hilfe kommen, wenn etwas geschah. Seine Nerven waren so durcheinander, daß er jede Sekunde auf den Eintritt einer Katastrophe wartete. Jeden Moment glaubte er, die Abteiltür würde sich öffnen und das verzerrte Gesicht eines Mörders würde vor ihm auftauchen. Ich bin ein kindischer Narr, gestand er sich seufzend ein. Sicher ist da nirgends eine Gefahr. Niemand hat mich verfolgt. Kein Mensch wird mich auf meinem Heimweg belästigen. Das redete er sich hartnäckig ein. Aber seine Unsicherheit blieb. Sein Herz krampfte sich unter schmerzhaften Schlägen zusammen. Immer wieder spähte er zur Abteiltür hin.
Dann endlich hielt der Zug an der Wandsworth Station. Ungestüm riß Clark Digby die Coupetür auf. Er war erleichtert wie nie zuvor in seinem Leben. Aufatmend schritt er durch die einsame Halle. Hastig ging er auf die Treppe zu, die zur Straße empor führte. Seine Schritte hallten laut im Treppenschacht. Er ging ganz allein. Niemand kam hinter ihm her. Niemand war vor ihm.
„Hallo, Mr. Digby!“, ertönte da plötzlich eine hohle Stimme. „Warten Sie einen Augenblick!“
Clark Digby blieb verblüfft auf dem Treppenabsatz stehen. Ratlos und verstört schaute er sich um. Die Stimme war längst verhallt. Es rührte sich nichts mehr. Beklemmend und lähmend hing das Schweigen über ihm. Dann auf einmal ein schriller, klirrender Ton zu seinen Füßen, als sei ein Glas in tausend Scherben zersprungen. Über die Stufen rann eine mattgelbe Flüssigkeit,
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