Achtung Kurven
war. Er stieß die Tür auf und wollte aus dem Wagen eilen, um dem Gestürzten auf die Beine zu helfen. Aber schon hatte sich ein Ring um das Auto geschlossen, und er hörte empörte Rufe aus der Zuschauermenge...
»Kommt mit hundert Sachen angebraust...«
»Wir Fußgänger sind für diese Kerle ja Freiwild...«
»Sieht den armen Kerl und denkt nicht daran, zu bremsen... So was müßte man auf der Stelle erschlagen...«
Zwei oder drei Leute halfen dem Radfahrer hoch. Er blutete aus einer kleinen Platzwunde an der Stirn. Die rechte Hand hing ein wenig verdreht herunter. Das linke Rad von Oskar Zauners Kombi stand gut zwei Handbreiten vor dem Vorderrad des Fahrrades. Es drehte sich mit blitzenden Speichen noch immer um seine Achse.
»Aber ich habe den Mann doch überhaupt nicht mit dem Wagen berührt!« rief Oskar Zauner den Leuten zu, deren Haltung immer drohender wurde. »Er ist umgekippt, weil er mit dem Vorderrad in die Schiene geriet!«
Ein dicker Choleriker, der ihn schon an den Jackenaufschlägen gepackt hatte, schnupperte plötzlich. »Auch dias noch!« brüllte er. »Dachte ich mir’s doch gleich, als ich den Kerl anbrausen sah: besoffen wie ein Fürst!«
Oskar Zauner wurde herumgezerrt und sah eine Nase dicht vor seinen Augen: »Wahrhaftig, der Kerl ist blau! Her mit der Polizei!«
Drei Leute rannten gleichzeitig über die Straße zum Trambahndepot, um von der Pförtnerloge aus die Verkehrsstreife und das Unfallauto herbeizurufen. Oskar Zauner erlebte fünf schlimme Minuten, bis die beiden Polizeifahrzeuge endlich erschienen. Der verletzte Radfahrer wurde rasch abtransportiert. Oskar Zauner erfuhr, daß er den rechten Arm gebrochen und wahrscheinlich auch eine Gehirnerschütterung erlitten habe. Bis die Bremsspuren vermessen und die Unfallzeugen vernommen waren, die ein Tempo von mindestens achtzig Stundenkilometern wahrgenommen haben wollten, wurde Oskar Zauner von einem ruhigen und höflichen Beamten in dem büroartig ausgestatteten Polizeifahrzeug vernommen. Er war blaß und erregt. Der Magen rebellierte wieder einmal.
»Hauchen Sie mich an«, gebot der Wachtmeister, und Oskar Zauner hauchte ihm seinen Atem entgegen.
»Na, was haben wir denn inhaliert, Herr Zauner?« fragte der Beamte mit falscher Gemütlichkeit.
»Zwei Schoppen und zwei kleine Schnäpse. Ich schlitterte in eine Geburtstagsfeier eines Kunden hinein. Aber ich habe mich dort nur eine knappe Stunde aufgehalten.«
»Schon gut, und nun blasen Sie mal ins Röhrchen.« Der Wachtmeister reichte ihm den Cellophanbeutel über den kleinen Tisch hinüber, auf dem die Schreibmaschine stand.
»Mein lieber Herr Gesangverein...!« brummte er, als er sah, wie sich das Röhrchen grün und immer grüner färbte. »Das kommt aber nicht von zwei Schöppchen und zwei kleinen Schnäpschen. Besinnen Sie sich mal genau, Herr Zauner, waren es nicht doch vier Schoppen und ein halbes Dutzend kleiner Seelentröster?« Er wehte sich Oskar Zauners Fahne mit der flachen Hand in die Nase. »Und es scheint sogar ein ziemlich ordinärer Fusel gewesen zu sein, den Sie da verlötet haben.«
»Aber nein, Herr Wachtmeister, was Sie riechen, sind meine Magentropfen. Ich hab’s nämlich seit Jahren mit dem Magen, nicht dauernd, aber von Zeit zu Zeit, Schmerzen, als ob ein Nerv im Zahn zu toben beginnt...«
»Kenne ich, habe ich selber. Und was tun Sie dagegen?«
»Ich nehme meine Kräutertropfen, zwei oder drei kräftige Schlucke, ich habe sie immer im Wagen dabei, sie helfen unter Garantie.«
Der Wachtmeister sah ihn etwas komisch an: »Und was meinen Sie wohl, was da drin ist?«
»Irgendein Kräuterextrakt aus Baldrian, Melissen...«
»Genau — aber siebzigprozentig!« In der wirkungsvollen Pause faltete er Oskar Zauners Führerschein, aus dem er die Daten fürs Protokoll entnommen hatte, zusammen und legte ihn in die Schublade des Maschinentischchens: »Den sind Sie für die nächste Zeit los«, sagte er schlicht und sog Luft durch eine Lücke zwischen Schneide- und Eckzahn. »Und ich fürchte, Sie werden noch einiges andere loswerden. Hoffentlich ist dem Radfahrer nicht allzuviel passiert.«
»Aber ich habe ihn doch gar nicht berührt!«
»Das behaupten Sie. Ich täte es auch. Leider sind die Zeugen anderer Ansicht. Aber die volle und reine Wahrheit wird sich ja bei der Verhandlung heraussteilen .«
Den Führerschein war er also los. Das Auto wurde von einem Beamten zum Präsidium gefahren und dort sichergestellt. Oskar Zauner wurde von dem jovialen
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