Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ackermann tanzt

Titel: Ackermann tanzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders
Vom Netzwerk:
die Nase ab.
    »Hab ich mir gedacht. So wat seh ich sofort.«
    Plötzlich schaute sie ihn an. »Vor Ihnen habe ich gar keine Angst.«
    »Na, vor wem denn dann?«
    »Vor Gregor.«
    »Vor Gregor Weller?« Ackermann machte große Augen. »Aber warum denn? Hat er dir was getan?«
    Sie schüttelte den Kopf und er spürte, dass sie nach Worten suchte.
    »Der zieht die Kleinen ab«, sagte sie schließlich tonlos.
    »Abziehen? Wie meinst du das? Beklaut der die?«
    »Nein, der macht ihnen Angst und dann geben sie ihm alles. Der ist stark und er hat ein Messer und er hat auch große Freunde, sagt er, die haben Waffen.« Jetzt sprudelte sie über. »Meine Schwester ist im zweiten Schuljahr. Sie hat immer Bauchschmerzen. Manchmal geht sie gar nicht in die Schule, sondern versteckt sich den ganzen Morgen. Gregor nimmt all ihr Taschengeld, und ihren Walkman und ihre Jeansjacke hat er auch.«
    »Und was sagen eure Eltern dazu? Die müssen das doch merken.«
    »Carina sagt immer, dass sie alles verliert.«
    Van Appeldorn und Ackermann blieben über zwei Stunden in der Schule. Nachdem das erste Kind geredet hatte, war es, als wäre ein Knoten geplatzt. Sieben Mädchen und Jungen schilderten ihren Peiniger und ihre Not. Es waren alles vorsichtige, leise Kinder – Gregor hatte einen guten Blick. Die meisten von ihnen wirkten wie erlöst, als sie erzählten, und es war unfassbar, dass alle so lange geschwiegen hatten.
    Van Appeldorn konnte es nicht glauben, dass kein einziger Lehrer auch nur die geringste Ahnung gehabt haben wollte, und er tat seine Meinung auch lautstark kund.
    Draußen auf dem Schulhof blieb Ackermann stehen und holte ein paar Mal tief Luft.
    »Weißte, Norbert«, meinte er, »ich find et viel schlimmer, dat die Eltern nix gemerkt haben. Wenn du überlegs’, wat die Kinder für ’ne Angst gehabt haben! Wat sind dat denn für Eltern?«
    Van Appeldorn zuckte die Achseln. Bei ihnen zu Hause hatte eigentlich Marion den direkten Draht zu den Mädchen.
    »Die übliche Geschichte, nehme ich an: Eltern beide berufstätig, den ganzen Tag genug um die Ohren«, meinte er lahm.
    »Dat is’ doch ’n Witz! Ich bin auch berufstätig, aber ich krieg’ doch mit, wenn meinen Kindern wat an die Nieren geht. Is’ doch wohl bei dir auch nich’ anders.«
    Van Appeldorn schwieg.

    Fanny hatte ihr Fahrrad schon abgeschlossen und wollte zum Postamt hinüber.
    »Mensch, Zarah, nun mach endlich. Ich will vor Englisch wieder in der Schule sein.«
    »Ich komme ja!« Zarah fuhr sich noch einmal mit den Händen durchs Haar und schraubte dann die Geltube
zu.
    Fanny verdrehte die Augen. »Dir ist echt nicht zu helfen. Geht doch deine Alten nichts an, was du mit deinen Haaren machst.« Damit stakste sie auf ihren Plateausohlen los. Zarah hatte Mühe, ihr zu folgen. Sie hatte die Schuhe erst gestern nach wochenlangem Betteln bekommen. Die Sohlen waren nicht ganz so dick wie bei Fannys Schuhen, aber sie musste sich trotzdem erst daran gewöhnen.
    »Das sagst du«, maulte sie. »Mein Vater spackt voll ab, wenn der mich so sieht. Und dann hab ich wieder Hausarrest für mindestens eine Woche.«
    »Ja und? Toll! Du wartest einfach, bis alle pennen, und dann machst du ’n Sittich.«
    Zarah blieb stehen. »Ach komm, tu mal normal.«
    »Boah Alte, ehrlich«, schimpfte Fanny. »Du kannst einem echt auf den Keks gehen mit deinem ewigen Schiss.« Damit drückte sie die Tür zum Postamt auf. »Hast du den Schlüssel?«
    Zarah bückte sich und holte den kleinen Postfachschlüssel aus ihrem Schuh.
    »Gib schon her!« Fanny wollte danach grapschen, aber Zarah hielt ihn hoch über ihren Kopf und ging zu den Schließfächern. »Nö, ich mache das. Ich bin diese Woche dran.«
    Sie fand drei Briefumschläge, darin zwei gefaltete karierte Zettel, eine herausgerissene Zeitungsnotiz, an deren Rand jemand mit Kuli einen Namen geschrieben hatte.
    »Zeig mal her«, meinte Fanny aufgeregt. »Lass mich doch mal lesen.«
    Zarah zögerte und sah sie unbehaglich an. »Ich weiß nicht. Nachher ist Sigi sauer ...«
    Fanny verdrehte wieder die Augen, aber sie drängelte nicht weiter, sondern ging hinaus.
    Dicht nebeneinander stiefelten sie die Lohengrinstraße hinunter.
    »Hoffentlich ist Sigi noch da. Der wollte doch heute die Karten besorgen für das Ärzte konzert.«
    »Sonst geben wir das einfach Manuela.«
    »Du, hör mal«, überlegte Fanny, »ich glaube, ich sag dem Sigi einfach, dass die Jungs endlich selber was machen wollen. Die motzen die ganze Zeit hinter seinem

Weitere Kostenlose Bücher