Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
wählen. Genau wie ich. Mehr noch, sie schrak nicht davor zurück, selbst Schläge auszuteilen. Die Versuchung, die wir in jener Nacht verspürten, sucht uns beide heim und lässt uns alles in Frage stellen, wofür wir bis vor einer Woche noch gestanden haben.
Die schrecklichen philosophischen Überlegungen, die Quinn in dem Zwinger mit Caitlin und Linda teilte, sind nicht ganz unwahr und entsprechen dem, was Kelly in Chris Shepards Seehaus Caitlin gegenüber erklärte: Wir sind noch in der Höhle. Wie die Hunde, die Sands zu Mördern deformierte, schlummern Triebe in uns, die auch durch ein Höchstmaß an Sozialisation nicht zu beseitigen sind. Lügen und Grausamkeit und Mord sind in uns allen.
In allen.
»Ist es das?« Caitlin zeigt auf eine tiefe Narbe am überwucherten Flussufer.
»Vielleicht.« Ich bremse und stehe auf in dem sich sanft wiegenden Boot. »Ich weiß es einfach nicht.«
Caitlin hat von der Devil’s Punchbowl gesprochen. Der richtigen. Da die große Schlucht nördlich der Stadt liegt, meinten wir, sie werde sich gut als Markstein eignen, um Lindas Asche auf dem Wasser zu verstreuen. Von dort würde sie an den noch verbliebenen Casinos vorübertreiben, unter den Brücken hindurch und vorbei an den alten Plantagen, wo Sands – wie andere Männer vor ihm – Frauen und Hunde eingesperrt hatte. Drei oder vier Tage später würden Lindas Überreste durch New Orleans und hinaus in den Golf von Mexiko geschwemmt.
»Ich glaube nicht, dass wir sie ohne ein GPS finden werden«, gebe ich zu. »Das Ufer ist immer noch zu stark zugewachsen.«
Caitlin zuckt die Achseln. »Spielt keine Rolle. Wir sind weit genug im Norden. Es soll in der Hauptfahrrinne sein.«
Ich drehe das Boot nach backbord und gebe Gas. Auf halbem Weg zwischen Mississippi und Louisiana stelle ich den Motor ab. In der Mitte des Flusses ist mir nicht wohl dabei, doch in diesem Fall scheint es notwendig zu sein. Caitlin holt eine schlichte Bronzeurne unter einem der Sitze hervor und stellt sie aufs Schandeck.
»Sollten wir ein paar Worte sagen?«, frage ich.
»Dafür ist es nun zu spät.«
Sie blinzelt in die Sonne und blickt zurück nach Natchez hoch oben auf dem Kliff, dann hinüber zum Deich an der Louisiana-Seite. Ich weiß nicht, was sie denkt, aber ich möchte sie nicht stören. Die Qualen, die Linda und sie im Zwinger durchlitten haben, sind weiterhin unergründlich für mich. Doch obwohl Kelly mich überzeugen konnte, dass Caitlin nicht von Quinn vergewaltigt wurde, habe ich nach den wenigen Einzelheiten, die sie enthüllt hat, nicht den geringsten Zweifel daran, dass Seamus Quinn ein Express-Ticket in die Hölle verdient hatte. Was immer wirklich geschehen sein mochte, es veranlasste Caitlin, Lindas Einäscherung und ihren Gedenkgottesdienst zu finanzieren, an dem ein paar Cocktailkellnerinnen – und niemand sonst – teilnahmen.
»Ich werde sie nie vergessen«, sagt Caitlin, die immer noch nach Westen zum Ort ihrer Gefangenschaft schaut.
»Es würde sie freuen, das zu wissen.«
»Ja, bestimmt. Aus irgendeinem Grund hatte sie eine hohe Meinung von mir. Sie hat mich gelehrt, wie viel Glück ich hatte, eine Kindheit wie meine erleben zu dürfen. Jetzt bin ich kein armes kleines, reiches Mädchen mehr. Und das habe ich Linda zu verdanken.«
Ich lächle über dieses seltene Beispiel von Selbstkritik.
»Möchtest du ein Geheimnis erfahren?« Caitlin nimmt den Deckel von der Urne. Die Brise fängt wenig Staub vom Rand ein und lässt ihn über dem Wasser tanzen wie einen Mückenschwarm.
»Klar.«
Caitlin hebt den Blick, bis wir uns direkt anschauen. »Heute Morgen habe ich ein bisschen von der Asche über Tims Grab gestreut.«
»Wirklich?«
»Es hat doch keinen Schaden angerichtet. Julia wird nie davon erfahren, und Linda hätte es sehr viel bedeutet.«
»Tim auch.« Ich muss unwillkürlich lächeln. »Gerade hatte ich angefangen, dich für eine Zynikerin zu halten, und da zeigst du eine romantische Ader.«
Caitlin dreht sich wieder zum Wasser um. »Ich bin immer Romantikerin gewesen. Das weißt du doch. Na dann …«
Sie hebt die Urne am Sockel hoch und schleudert die Asche weit über das orangerote Wasser. Ein Geräusch wie prasselnder Regen erreicht das Boot, und dann hängt nur eine kleine Staubwolke, die sich langsam im Wind auflöst, über dem Fluss.
»Wie lange dauert es, bis sie in New Orleans ist?«, fragt Caitlin.
»Nicht länger als eine Woche. Vielleicht schon eher.«
Caitlin beobachtet die vom Boot
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