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Adrienne Mesurat

Adrienne Mesurat

Titel: Adrienne Mesurat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julien Green
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fuhr sie sich mit der Hand über das Haar, wie um zu prüfen, ob es ordentlich gekämmt sei, und obwohl sie ihrem Vater von Zeit zu Zeit zunickte, war ihr Blick abwesend, und man sah ihr an, daß sie Gedanken nachhing, die mit den langen Erklärungen Monsieur Mesurais nicht das geringste zu tun hatten. Das Licht der Lampe fiel auf sie und gab ihrem Gesicht eine Blässe, die es noch undurchdringlicher erscheinen ließ. Ein Schatten betonte die gerade Linie der Brauen und die etwas harte Kontur der Unterlippe, so wie ein Zeichner, der gewisse Züge verschärft, auf deren Kraft er den Blick lenken will.
    Sobald das Abendessen beendet war, ließ sie ihren Vater, der es sich im Salon bequem gemacht hatte, allein und ging aus dem Haus. Sie hatte einen Schal um den Kopf geschlungen und lief die Rue Thiers entlang, vorbei an der Villa Louise, dann blieb sie an der Rue du Président-Carnot stehen, die schnurgerade vor ihr lag und zur großen Landstraße hinausführte. Einen Augenblick spitzte sie die Ohren, um dem Stimmengewirr zu lauschen, das aus einem ganz nahe gelegenen Garten kam, doch es war dunkel, und sie mußte nicht fürchten, gesehen zu werden. Sie lehnte sich an die Mauer und blickte empor. Vor ihr, nur wenige Meter entfernt, konnte sie an der Straßenecke ein stattliches quadratisches Haus sehen, dessen Dach sich in der Dunkelheit verlor, von dessen kalkverputzten Mauern jedoch eine Art Lichtschein auszugehen schien. Zwei schwarze Flecken, einer über dem anderen, ließen die Fenster mit ihren geschlossenen Läden erraten.
    Ein paar Minuten verstrichen. Jemand näherte sich von der Landstraße und kam mit den langsamen Schritten eines Spaziergängers die Gasse herunter. Widerwillig verließ sie ihren Beobachtungsposten und schlenderte, mit einem Bogen um die Villa Louise, die Rue Thiers zurück bis zu einer anderen Gasse, die diese kreuzte, denn sie konnte sich nicht entschließen, nach Hause zu gehen. Hier wartete sie. Über ihr verströmten die Trauben einer Glyzinie auf der Mauerkrone jenen schweren Duft von Blüten, die ein allzu heißer Tag erschöpft hat. Einen Augenblick lang betrachtete sie die beiden erleuchteten Fenster der Villa des Charmes, im Erdgeschoß der Salon, im zweiten Stock das Zimmer ihrer Schwester; und während sie den Schritten lauschte, die gemächlich die Rue du Président-Car-not herunterkamen, versuchte sie, die Langeweile des endlosen Wartens zu überlisten, indem sie sich mit aller Kraft Antoine Mesurat in seinem Lehnsessel vorstellte, mit ausgestreckten Beinen vor sich hindösend, die Zeitung in den Händen; und dann Germaine, wie sie, von einem Berg Kissen gestützt, in ihrem Bett saß, das Gesicht von dem Fieberanfall gerötet, der sie jeden Abend packte, und die Augen auf einem Buch, das sie mit unaufmerksamem Blick in den Händen hielt.
    Die Schritte wurden lauter, überquerten die Rue Thiers und gingen weiter die Rue du Président-Carnot hinunter. Ein wohliger Schauer durchrieselte Adrienne, und sie begann, auf Zehenspitzen den Weg, den sie eben erst gekommen war, in entgegengesetzter Richtung zurückzulaufen. Am Gartentor der Villa Louise blieb sie stehen und klammerte sich atemlos an einen Gitterstab. In ihren Gesichtszügen spiegelte sich etwas wie Glück. Die Erregung ließ ihre Augen leuchten, und aus den leicht geöffneten Lippen drang ein leises Keuchen, dessen Geräusch sie hinterherzuhorchen schien. Als die Schritte sich entfernt hatten, setzte sie ihren Weg fort und kehrte an die Stelle zurück, die sie kurz zuvor hatte verlassen müssen.
    Wieder lehnte sie sich an die Villa Louise. Nun konnte sie den gesamten Umriß des gegenüberliegenden Hauses erkennen und sogar die Zierkanten aus dunklen Steinen, die sich in das Weiß der Mauern hineinfraßen. Hin und wieder brach ein Lichtstrahl durch die Wolken, die den Himmel überzogen, und glitt für einen kurzen Augenblick über die Schieferplatten des Daches; dann kniff die junge Frau angespannt die Augen zusammen, um das Spiel dieses flüchtigen Funkeins zu verfolgen. Plötzlich ging der Mond auf: Eine ganze Straßenseite schien emporzutauchen und sich im Glanz dieses toten Lichts in die Höhe zu recken. Das alles war so schnell geschehen, daß Adrienne überrascht aufschreckte. Sie ging bis zur Straßenmitte. Das Schieferdach glitzerte wie eine von gleißender Helligkeit beschienene Wasserfläche. Ein Baumwipfel zitterte schwarz zwischen den hohen Ziegelschornsteinen. Weit weg, irgendwo tief in einem Park, bellten zwei

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