Äon - Roman
damals jene Entscheidungen getroffen, und sie fielen ihm nicht leicht.«
Ignazio blickt erneut auf den Brief hinab, doch die Buchstaben verschwimmen vor seinen Augen. Schwindel erfasst ihn, als er an die möglichen Konsequenzen denkt. »Die wenigen Sätze dieses Abschnitts … Vielleicht stehen sie in einem anderen Zusammenhang. Vielleicht ist etwas anderes damit gemeint.«
»Es gibt weitere Hinweise«, sagt der Papst ruhig. »In anderen Schriften. Spuren, die man nur deuten kann, wenn man dies kennt.« Er deutet auf den Brief und zitiert aus dem Gedächtnis: » › So glaube ich, in Gottes Auftrag zu handeln und Seinem Willen gerecht zu werden, wenn ich Lüge von Wahrheit trenne, soweit es meinem sterblichen Auge gelingt. ‹ «
»Aber …«, beginnt Ignazio und schließt den Mund wieder. Ihm fehlen die Worte.
»Sophronius Eusebius Hieronymus schuf die Vulgata, die 1546 vom Konzil von Trient für authentisch erklärt wurde. Diese Bibel hier …« Der Papst hebt das Buch. »Es ist sein Werk, nicht das der Evangelisten.«
Ignazio starrt auf die Bibel, als könnte man sich daran die Finger verbrennen.
»Er begann mit der Übersetzung im Jahr 382, unter Papst Damasus I.«, fährt der Papst fort. »Zu jenem Zeitpunkt wusste er schon von den Sechs und ihren Manipulationen der alten Texte. Angeblich übersetzte er aus dem Hebräischen, aber wir wissen heute, dass Hieronymus kaum des Hebräischen mächtig war. Grundlage seiner Übersetzungen war eine Hexapla-Septuaginta aus dem Altgriechischen, die auf den hebräischen heiligen Schriften basierte. Der Text der Septuaginta, das Werk jüdischer
Schriftgelehrter aus Alexandria, geht nicht auf einen einzelnen Übersetzer oder eine einzelne Übersetzergruppe zurück; es ist nicht bekannt, wie viele Personen daran gearbeitet haben. Als Erstes wurde damals der Pentateuch übersetzt, um das Jahr 250 vor Christi Geburt, zur Zeit des Ptolemaios II. Die anderen biblischen Bücher folgten später.«
Der Papst legt eine kurze Pause ein und blickt auf die Bibel in seinen Händen. Mit dem Zeigefinger streicht er über die goldenen Buchstaben auf dem Buchrücken. »Vermutlich kam es damals zu den Änderungen.«
»Aber …«, beginnt Ignazio erneut. »Aber wie entdeckte Hieronymus die Manipulationen?«
»Durch Vergleiche mit Texten, die heute nicht mehr existieren. Das Wissen um die Sechs half ihm, und vielleicht …« Der Papst vollführt eine vage Geste. »Vielleicht verlieh Gott ihm ein besonders scharfes Auge. Ein Problem bei seinen damaligen Übersetzungen waren die Hapaxlegomena, Begriffe, die nur an einer einzigen Stelle im Text erschienen und deren exakte Bedeutung sich nur schwer bestimmen ließ. Er glaubte, einen verborgenen Code in ihnen zu erkennen, und deshalb entfernte er viele von ihnen aus seiner Version der Bibel. Er übernahm nur die, bei denen er sicher war, dass sie keinen Schaden anrichten konnten.«
Ignazio fühlt sich erneut von Schwindel erfasst. Es erscheint ihm unfassbar, dass jemand nach eigenem Gutdünken Passagen aus der Heiligen Schrift gestrichen und Text geändert hat.
»Und Worte können Schaden anrichten«, betont der Papst. »Es heißt nicht umsonst, dass Worte mächtiger sind als das Schwert. Das wussten auch die Nephilim. Nun, die Hapaxlegomena waren der Anfang. Noch misstrauischer geworden, machte sich Hieronymus an eine genaue Untersuchung der übrigen Texte.«
»Wusste Damasus I. davon?«, wirft Ignazio ein.
»Vielleicht. Innozenz I. wusste ganz sicher Bescheid und entschied offenbar, das Geheimnis zu wahren. Aus gutem Grund.« Der Papst
stellt die Bibel ins Regal zurück, und Ignazios Blick folgt dieser Bewegung.
»Sie ist die Grundlage unserer Kirche«, sagt er leise. »Gottes Wort …«
»Daran ändert sich nichts. Die Heilige Schrift enthält Seine Botschaft an die Menschen, wenn auch nicht in den ursprünglichen Worten.«
»Aber das ist nicht alles. Sie enthält noch mehr.«
»Die Nephilim wollten sie zu einem Instrument des Leids und Schmerzes machen, und ich fürchte … ich fürchte …« Die Stimme des Papstes klingt nachdenklich. »Es gibt dunkle Kapitel in der Geschichte der Kirche, Ignazio. Päpste, die in den Krieg zogen. Das Mittelalter. Missionierungen, mit der Bibel in der einen Hand und dem Schwert in der anderen. Viele Menschen fragen sich, wie so etwas möglich sein konnte. Wir kennen die Antwort. Die Heilige Schrift enthält eine geheime Botschaft der Nephilim, über den ganzen Text verstreut: Worte, die in das
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