Am Ende der Ewigkeit
PROLOG – Das Gespensterschiff
Bänder aus Licht schienen sich wie in Zeitlupe durch die Korridore des Sternenschiffs zu winden.
Die Passagiere und die Crew bewegten sich in lang gezogenen, schwerfälligen Wellen, wenn sie durch das Schiff krochen, um den alltäglichen Beschäftigungen des Lebens nachzugehen – wenn man diese Existenz noch als Leben bezeichnen konnte.
Die Passagiere atmeten, aßen und schliefen; es gab sogar eine gewisse Geselligkeit. Die Crew übte ihre Pflichten aus, kümmerte sich um die Bedürfnisse der Passagiere, reparierte Maschinen und pflegte die behelfsmäßigen hydroponischen Gärten, die die Nahrung für die über fünfhundert Menschen an Bord erzeugten. Auf der Brücke suchten die Rigger nach einem Weg, der das Schiff heimwärts führte; während sie angestrengt in die verwirrenden Nebelschwaden des Flux spähten, fragten sie sich, was, im Namen der Schöpfung, schief gelaufen war. Ihr Dasein bestand aus Langeweile und Bestürzung, ein Zustand, der nur äußerst selten unterbrochen wurde von einer Herzklopfen verursachenden Erregung, wenn sie ein anderes Schiff sichteten … Darauf folgte unweigerlich tiefste Verzweiflung, weil ihre Bemühungen, Kontakt aufzunehmen, stets misslangen.
Es war ein seltsamer und erschreckender Schwebezustand, in dem das Sternenschiff dahin driftete, gefangen in einer rätselhaften Schicht des Flux, außerhalb der »normalen« Regionen des Flux – wobei festzustehen schien, dass es niemals wieder mit seinem Ursprungsuniversum Verbindung aufnehmen konnte. Der Strom der Zeit hatte aufgehört, in einer rationalen oder verständlichen Weise zu fließen. In launischen Wellen rann die Zeit durch das Schiff, und ein zugiger Wind fuhr seufzend durch unsichtbare Spalten in den Mauern der Ewigkeit.
Unter den Passagieren befand sich das Ehepaar Jones, das zwei Tage nach dem Abflug des Schiffs geheiratet hatte. Nun verbrachten sie ihre Zeit, indem sie einander umarmten – doch nicht, wie erwartet, die Wonnen der Liebe genießend, sondern verzweifelt und in ihre Kabine eingekapselt, in der die Zeit durch einen bizarren Trick des Schicksals noch zäher dahin schlich als im übrigen Schiff. Während sie sich in einem stasisähnlichen Zustand umschlungen hielten, gab ihnen das Gefühl körperlicher Nähe zwar keine Hoffnung, jedoch einen gewissen kummervollen Trost.
Ein Deck tiefer, in der Lounge, spielten zwei alte Männer immer noch dieselbe Schachpartie, die sie irgendwann einmal vor vielen Jahren begonnen hatten. Waren sie jemals davon aufgestanden, um zu essen oder zu schlafen? Niemand vermochte sich so recht zu erinnern. Der Captain des Schiffs schien stets in der Nähe zu sein, seine Bewegungen waren schneller als die der Schachspieler, obwohl er keinerlei Spuren von Alterung aufwies. Die Korridore auf und ab stapfend, führte er gemurmelte Selbstgespräche wie ein gepeinigter Ahab der Sterne.
Und in seiner eigenen Kabine starrte der Schneider zum tausendsten Mal auf Nadel und Faden, als hätte er beides soeben erst in seiner Hand entdeckt. In gespenstischer Langsamkeit vollführte er seine Arbeit; ihm war zumute, als sei sein Leben in sich verhärtendem Bernstein eingeschmolzen. Er begriff nicht, was passierte, und hatte seit langem aufgegeben, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Dennoch kreisten selbst beim Nähen seine Gedanken um seine Schwester und ihre Familie. Zu ihrem Heimatplaneten war er unterwegs gewesen, und diese Welt lag nun unerreichbar jenseits des doppelten Abgrundes aus Zeit und Raum. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, seine Verwandten je wieder zu sehen, doch er kam nicht umhin sich zu fragen, wie viel Zeit mittlerweile da draußen vergangen war, und ob von den Personen, die er früher gekannt hatte, noch jemand lebte.
Mit einem gedehnten Seufzer zog der Schneider die glänzende Nadel durch die Schulternaht des Jacketts, das er gerade änderte. Die Naht teilte sich und stieß einen Zentimeter weiter nach rechts wieder zusammen. Ein halbes Leben lang begutachtete der Schneider sein Werk … um dann, mit größter Bedächtigkeit, den nächsten Nadelstich einzuleiten.
KAPITEL 1 – Flucht aus der Gesellschaft
Renwald Legroeders Blicke huschten hektisch hin und her auf der Suche nach anderen Fluggeräten, derweil er das Scoutschiff von den Raumdocks wegsteuerte. Sein Herz hämmerte vor Furcht. Noch war kein Alarm ausgelöst worden, Gott sei Dank; doch wie lange mochte die Ruhe dauern? Der Fluxreaktor des Scoutschiffs summte,
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