Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aeon

Aeon

Titel: Aeon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
Inkorporierte an den verschlungenen Pfaden des Waldes. Das Wohnungsangebot reichte von dicken Trauben von gläsernen Flößen, die an den breiten Luftwurzeln verankert waren, bis zu freibeweglichen Zellen, die für ein, zwei Homomorphe oder höchstens vier normale Neomorphe ausgelegt waren.
    Der Wald war zugleich Dekoration und Reverenz an die naderische Philosophie; ungefähr ein Drittel der verbrauchten Luft in Central City wurde in den Schächten erneuert; den Rest besorgten geshel-konzipierte Skrubber. 13 Tausende von Baum- und Pflanzenarten – zum Teil mit genießbaren Früchten – waren genetisch auf die Schwerelosigkeit umgerüstet worden. Ein ganzes Drittel der Biomasse der Axis City war botanischen Ursprungs und im Wald konzentriert.
    Eine Lieblingsbeschäftigung von Olmy war es, in Tarzanmanier durch den Wald zu streifen, sich von Ast zu Ast zu schwingen und ohne Traktionsfelder durch die Pfade zu segeln. Da gab es eigens angelegte Trimm-dich-Pfade und Schnellstrecken, wo sich viele trainierende Homomorphe und wenige neomorphe Sportskanonen und praktisch keinerlei Fahrzeuge tummelten. Olmy hatte sich auf die schwierigeren Pfade konzentriert und nach dem tausendsten Mal eine Zeit von fünfzehn Minuten geschafft von der äußeren Facette bis zum Schachtboden.
    Nun wollte er sich allerdings nicht abhetzen. Er schwang sich, die Arme am Rücken verschränkt, gemächlich voran, indem er breitbeinig wie ein Schlittschuhläufer von breiten Blättern zu glatt gescheuerten Wurzeln hopste und einem ausgetretenen Pfad durch den Schacht folgte. Zeit zum Nachdenken zählte mehr als Tempo.
    Plastikschläuche mit einem Brei aus glühwürmchenartigen Leuchtbakterien schlangen sich – meterdick und oft bis zu einem halben Kilometer lang – durch den Wald. Lichtungen waren oft makrameeartig damit durchwirkt und leuchteten bunt, wobei sie aus der Nähe bald rosa und rot, bald dunkelbraun bis goldgelb glänzten. Die Lichtungen wurden gern von Homomorphen aufgesucht, die im Schein der Schlingen badeten. Nun würdigte Olmy die wenigen Lichtungen, die er zielstrebig passierte, kaum eines Blickes.
    Er brauchte zwanzig Minuten bis zum Quartier des Präsidierenden Ministers. An einer schmalen Weggabelung verließ er den Hauptpfad und glitt über die blühenden Windungen einer knorrig verdrehten Wurzel. Das Heim schwebte mitten in der Privatschlucht des P. M.
    Es war einem irdisch-englischen Herrenhaus des achtzehn ten Jahrhunderts nachempfunden, wobei für das fehlende Oben und Unten Sonderlösungen ausgeführt waren. Da gab es drei Dächer und Eingänge aus sechs verschiedenen Winkeln. Erkerfenster öffneten sich in drei Richtungen. Geometrisch exakte Zypressen schirmten ein Fenster gegen das Licht des Glühwürmchengeflechts am anderen Ende der Schlucht ab.
    Monitore flogen zu ihm, als er in den blühenden Wurzelwindungen erschien, und identifizierten ihn eindeutig, woraufhin sie sich wieder anderen Pflichten widmeten: Heckenschneiden, Insektenwache, Hüten der Haustiere des P. M.
    Die Hausstimme hieß ihn willkommen und forderte ihn auf, durch die helle Tür, die dem Glühwürmchengeflecht zugewandt war, einzutreten. Der P. M. erwarte ihn dort.
    Olmy heftete sich auf einen Platz und verfolgte halb herablassend, halb gelangweilt eine kurze Piktographie der jüngsten Ereignisse in diesem ehrenwerten Haus. Als der Piktor abschaltete, sah er einen unbekannten Neomorphen vor dem P. M. ins Wartezimmer kommen. Der Neomorphe – fischförmig und gliederlos – betrachtete Olmy mit einem kristallenen Fuchsgesicht und piktographierte eine lässige Begrüßung, aber identifizierte sich nicht. Olmy, der in ihm einen von Tollers Adjutanten erkannte, erwiderte den Gruß, ohne sich seinerseits auszuweisen. Der Neomorphe verließ – im Geleit eines eigenen Monitorschwarms – den Raum durch die helle Tür.
    »Werden immer kecker, was?«, sagte der P. M. und reichte Olmy die Hand, der sie schüttelte. »Jetzt frag ich Sie – würden Sie jemandem trauen, dem man nicht die Hand schütteln kann?«
    »Ich traue vielen nicht, denen ich die Hand schütteln kann«, erwiderte Olmy.
    Der P. M. sah ihn teils belustigt, teils beleidigt an. »Sie sind gekommen, um mich über den Besuch unserer Altvordern ins Bild zu setzen.« Er führte Olmy in sein geräumiges, duodekaedrisches Arbeitszimmer. Der runde Schreibtisch des P. M. war kardanisch an einer Stange in der Raummitte aufgehängt; sieben Wände waren bedeckt mit Wurzelfurnierschränken, die antike

Weitere Kostenlose Bücher