Aerzte zum Verlieben Band 42
Anna nicht weiter überraschte. Der Geräuschpegel war gestiegen, die Musik lauter gedreht worden, um Gelächter und Stimmen zu übertönen. Hinzu kam ein neues Geräusch, ein Knall, auf den jedes Mal Gejohle und kreischendes Lachen folgte. Da verteilte jemand Knallbonbons, die traditionell auf keiner britischen Weihnachtsfeier fehlen durften.
Inzwischen hörte es sich an wie entferntes Gewehrfeuer. Anna blickte zu Luke. Er mochte keine Partys. Wie viel schlimmer musste es nun für ihn sein, wenn die Knallerei ihn an ein Kriegsgebiet erinnerte? Tatsächlich wirkte er deutlich angespannt, und sie rückte instinktiv etwas näher an ihn heran. Sie wollte ihn beschützen. Da sah er sie an, und seine düstere Miene wirkte nahezu unheimlich.
James bekam ein Knallbonbon in die Hand gedrückt. „Na, dann los!“ Lachend hielt er das andere Ende seiner Frau hin.
Der Knall war ohrenbetäubend. Charlotte quiekte überrascht, Annabel presste das Gesicht an die Schulter ihres Vaters, und der kleine Josh fing an zu weinen.
Anna sah immer noch Luke an, als sich der Ausdruck in seinen Augen plötzlich veränderte. Er blickte sie an, aber er sah sie nicht. Genau wie damals im OP.
„Luke.“ Sie legte ihm die Hand auf den Arm. Die Muskeln, die sie unter ihren Fingern spürte, waren hart wie Stahl.
„Luke?“, wiederholte sie mit mehr Nachdruck. Sie musste zu ihm durchdringen. Ihn aus diesem Flashback holen, bevor die anderen etwas mitbekamen.
Doch er schien ihre Berührung nicht einmal wahrzunehmen, geschweige denn, ihre Stimme zu hören. Luke wandte sich ab, ohne auf die Menschen in seinem Weg zu achten. Einer verschüttete sein Bier, als Luke ihn unsanft anstieß.
„He, passen Sie doch auf!“
Ben und James sahen Luke hinterher. Anna fing den Blick auf, den die beiden dann wechselten. Stirnrunzelnd öffnete Ben den Mund, um etwas zu sagen, aber Anna kam ihm zuvor. „Ich gehe schon.“
Es war nicht schwer, Luke zu folgen. Die Menschen wichen zurück, als sie ihn kommen sahen. Das Lächeln auf ihren Gesichtern verblasste, machte einer ungläubigen Miene Platz. Anna holte ihn erst ein, als sie die Kantine verlassen hatten. Flüchtig nahm sie Josh wahr, der in die entgegengesetzte Richtung ging. Nein, nicht alle sind heute glücklich, dachte sie.
Endlich war sie Luke so nahe gekommen, dass sie nach seiner Hand greifen konnte. Aber er blieb nicht stehen, sondern zog Anna einfach mit sich, bis sie das Ende des Flurs erreichten. Der Lärm aus der Kantine drang nur noch gedämpft bis zu ihnen, und auch das Licht, hier im Fahrstuhlbereich, war gedimmt. Zwei große Kübelpflanzen standen jeweils links und rechts von einer Bank, und von ihren Blättern hingen ein paar Lamettafäden herab.
Jetzt blieb er stehen, wandte den Kopf in die eine, dann in die andere Richtung, so als wüsste er nicht, wohin er gehen sollte. Aber er war noch immer angespannt und seltsam abwesend.
Wie kann ich ihn ablenken? überlegte sie. Ihn in die Gegenwart zurückholen? Sie trat vor ihn hin und umfasste mit beiden Händen seinen Kopf.
„Luke …“ Sie zog sein Gesicht näher zu sich heran, wollte ihn dazu bringen, sie anzusehen. „Ich bin’s, Anna.“
Er war an einem anderen, einem grauenvoll dunklen Ort gefangen, weit weg von hier.
Anna musste etwas tun. Spontan, ohne erst lange darüber nachzudenken, stellte sie sich auf die Zehenspitzen.
Und dann küsste sie ihn.
6. KAPITEL
Luke wusste, dass Anna ihn küsste.
Er wusste, dass sie ihm aus der Kantine gefolgt war und seine Hand genommen hatte. Auch ihre drängende Stimme hatte er gehört.
Aber es war auf einer anderen Ebene seines Bewusstseins passiert. So musste sich jemand fühlen, der im Koma lag … oder gerade daraus erwachte. Man hörte Stimmen, spürte Berührungen, doch man war noch nicht in derselben Wirklichkeit angekommen.
Als wäre ein Bolzen eingerastet, hatte der Knall etwas in ihm festgesetzt, und Luke merkte, wie er in einen Flashback gezogen wurde. Verzweifelt hatte er versucht, den Zustand abzuschütteln, und war wie ein Getriebener aus der Kantine gestürmt. Doch das Geschützfeuer, das er hörte, wurde immer lauter. Landminen explodierten. Männer schrien. Sein Mund füllte sich mit Rauch und dem rostigen Geschmack von Blut.
Im Flur angekommen war er nur von dem Gedanken beherrscht, zu entfliehen, einen Platz zu finden, wo er allein sein und den Kopf in die Hände stützen konnte. Um das Monster, das ihn umklammert hielt, niederzuringen und irgendwie die Kontrolle
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