Aerzte zum verlieben Band 48
legte sie ihr um die Schultern. „Es war bestimmt ein Schock für Sie.“ Er setzte sich neben sie. „Ich warte noch, bis Sofias Eltern hier sind, aber Sie können gern zu Ihrem Hotel zurückfahren. Soll ich Ihnen ein Taxi bestellen?“
„Nein, danke, es geht schon wieder“, wehrte Alice ab. „Ich brauche nur einen Moment Ruhe.“
Jetzt, nachdem der Adrenalinschub abgeklungen war, fühlte sie sich wie ausgelaugt. Sie legte den Kopf an die Wand und schloss die Augen. Gleichzeitig war sie sich Dantes Nähe deutlich bewusst. Wo seine Fingerspitzen ihren Oberarm gestreift hatten, prickelte die Haut, und sie spürte die Wärme seines kraftvollen Körpers. Und sie wollte gern mehr über diesen Mann wissen.
An der Unfallstelle war sie erleichtert gewesen, dass er Arzt war, obwohl sie nie damit gerechnet hatte. Profi-Fußballer oder Model, das hätte eher gepasst.
„Was für ein Arzt sind Sie denn?“, fragte sie.
„Ich bin Kinderarzt. Und Sie?“ Er sah ihr in die Augen. „Sie haben auf dem Platz gezeichnet, sind Sie Künstlerin?“
„Wenn Sie meine Zeichnungen sehen würden, wüssten Sie, dass ich keine bin.“ Alice fühlte, wie ihr Gesicht zu glühen begann. Hatte er gemerkt, dass sie ihn skizziert hatte? Hoffentlich nicht.
„Ist das Ihr Zeichenblock?“ Er deutete auf ihre Handtasche, aus dem der Block ein Stückchen herausragte. „Darf ich einmal sehen?“ Bevor sie ihn davon abhalten konnte, zog er ihn heraus. Alice unterdrückte den Impuls, ihm den Block wieder aus den Händen zu reißen, und nickte stumm.
Verlegen saß sie da, während er die Skizzenblätter eins nach dem anderen umschlug. Mit ein wenig Glück würde er sich selbst nicht erkennen, denn die Zeichnung hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Mann neben ihr. Und schmeichelhaft war sie auch nicht.
Aber als er beim letzten Blatt innehielt und grinste, lösten sich ihre schwachen Hoffnungen in Nichts auf.
„Ich wusste gar nicht, dass ich so aussehe“, sagte er mit gespieltem Ernst, aber das Lachen dahinter war deutlich zu hören.
„Das ist nicht sehr gelungen. Sie sehen viel besser …“ Sie bremste sich gerade noch rechtzeitig. „Ich meine, ich bin nicht gut im Zeichnen“, fuhr sie hastig fort. „Es ist nur ein Hobby von mir.“ Sie entwand ihm den Block, um ihn schnell wieder in ihrer Handtasche zu verstauen.
„Und was machen Sie, wenn Sie nicht zeichnen?“
Was sollte sie antworten? Dass sie als persönliche Sekretärin für ihren Vater tätig war und die Gastgeberin bei exklusiven Essenseinladungen spielte, wenn er ausnahmsweise gerade keine Freundin hatte? Dass sie, abgesehen vom Studium, ihren Pflichten als Hausherrin von Granville House und zahlreichen gesellschaftlichen Auftritten nichts tat? Mit links war das alles allerdings auch nicht zu leisten. Und außerdem hatte sie sich vorgenommen, hier in Florenz einfach nur Alice zu sein. Weshalb sollte sie dann einem wildfremden Mann erzählen, wer sie wirklich war?
„Ich studiere Kunstgeschichte, in London.“ Das konnte sie ihm ruhig erzählen.
„Dann sind Sie also Gast in meiner Stadt. Gefällt sie Ihnen?“ Er lächelte sie an, und ihr Herz machte einen kleinen Satz.
„Ich liebe Florenz. Seine Geschichte, die Kunstschätze …“ Die Konditoreien ließ sie unerwähnt. „… und die unbeschwerte südliche Lebensart. Glauben Sie mir, wenn man diesen schrecklich nassen Sommer in England durchlitten hat, sehnt man sich nach Sonne.“
„Was haben Sie sich angesehen?“
„Praktisch alles, was im Reiseführer steht – die Ponte Vecchio, die Uffizien, Santa Maria Novella. Ich bin gelaufen, bis mir die Füße wehtaten.“
Dante schlug die langen Beine übereinander und lehnte sich zurück. „Was macht man mit einem Abschluss in Kunstgeschichte?“
Gute Frage. Von jemandem in ihrer gesellschaftlichen Position erwartete man in England nicht, dass er wirklich arbeitete. Soziales Engagement, das Organisieren von Spendengalas, das war noch akzeptabel, diente aber eigentlich nur dazu, die Zeit bis zur Hochzeit zu überbrücken. Danach hieß es, die Rolle als Ehefrau, Mutter und Gastgeberin perfekt auszufüllen und all die Verpflichtungen zu übernehmen, die mit ihrem Titel verbunden waren.
Ihr wurde klar, dass Dante immer noch auf eine Antwort wartete.
„Als kleines Mädchen habe ich davon geträumt, Lehrerin zu werden.“
„Und, warum sind Sie es nicht geworden?“
Ja, warum nicht? Weil sie immer gewusst hatte, dass ihr Lebensweg mehr oder weniger vorgezeichnet war
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