Aetherhertz
streng an: “Ich meine es doch nur gut! Annabelle, du gehst einfach zu wenig aus, wie sollst du denn auch einen guten Mann kennenlernen? Triff dich doch wieder öfter mit Fräulein Johanna, die kennt sich in der Gesellschaft aus.“
“ Wieso glaubst du denn, dass ich das will? Ich will kein Anhängsel eines Mannes sein, das sich nur dafür interessiert, welches Kleid sie zu welchem Anlass anziehen kann, und welchen Hut sie dazu tragen sollte. Ich will für mich selbst entscheiden, ich will reisen, ich will lernen, und ich will …“ Jetzt hatte sie Tränen in den Augen und ärgerte sich darüber. Sie stach mit ihrer Gabel in den unschuldigen Kloß auf ihrem Teller und rührte Vanillesoße und Apfelmus zusammen.
“ Alles wird gut“, beruhigte sie Frau Barbara und reichte ihr ein Taschentuch. “Es ist eine schwere Entscheidung. Aber wir haben sie zu lange hinausgezögert. Ich bin mir sicher, du wirst deinen Weg auch ohne deinen Vater gehen.“
“ Habe ich denn eine Wahl?“, fragte Annabelle schniefend.
“ Man hat immer eine Wahl. Und jetzt iss, sonst wird es nicht nur kalt, sondern eiskalt.“
Kapitel 2
„ ... und dann hat er mich geküsst!“
Annabelle horchte auf. Bis jetzt hatte sie das Geplapper ihrer Freundin Johanna an sich vorbei rauschen lassen, und lieber das bunte Laub der Bäume des herbstlichen Kurparks bewundert, aber Küsse waren eindeutig etwas, wo man aufmerksam werden musste.
„ Wer hat dich geküsst?“, fragte sie nun neugierig.
Johanna lachte und erklärte: „Ach, Annabelle! Ich habe dich reingelegt. Niemand hat mich geküsst. Ich wollte nur, dass du mir endlich zuhörst. Obwohl küssen schön gewesen wäre, ich hätte nichts dagegen, du weißt schon, der Emil Hofstädter, den find ich wirklich fesch, von dem würde ich mich gerne küssen lassen, und ich glaube, er möchte das auch. Vielleicht auf dem nächsten Kurkonzert, was meinst du? Da könnten wir durch den Park spazieren, und wenn dann der Mond scheint, und ich mein rosa Kleid mit dem süßen Hut anhabe, du weißt doch, das mit den Röschen am Ausschnitt, ich habe Mama gesagt, ich brauche noch mehr von diesen Röschen ...“
Es gelang Annabelle nicht, den Sinn dieses Redeflusses zu erfassen. Sie mochte Johanna wirklich, obwohl sie nicht nur äußerlich völlig verschieden waren. Johanna war klein, zierlich und hatte goldblonde Locken. Sie war eine echte Prinzessin – im Geiste. Ihre Eltern waren zwar wohlhabend, aber nicht adlig. So oberflächlich das Mädchen auch manchmal war, sie war die Einzige, die es schaffte, dass Annabelle mit ihr ausging – zum Kaffeeklatsch, spazieren im Kurpark, Kutschfahrten zum Picknick aufs Land und was man sonst so unternahm als junges Mädchen von Stand. Und sie hatte etwas bei Johanna wiedergutzumachen, nach gestern Abend, daher hatte sie dem Treffen heute im Café des Hotels Steigenberger zugesagt.
Aber dieses ständige Gerede von Kleidern und Röschen ... Das war nichts für Annabelle. Rosen waren so langweilige Gewächse. Pflanzen dagegen, die giftig waren oder fleischfressend – das war etwas anderes.
„ Aber Annabelle, hör mal zu“, Johanna tippte ihr mit einem Fächer auf den Arm. „Du musst mitkommen! Das schuldest du mir, nachdem du mich gestern Abend im Park einfach im Stich gelassen hast.“
Annabelle nickte zögernd: „Wohin? Warum?“
„ Na, zu der Einladung der Freifrau von Strebnitz. Du musst mal wieder unter Leute. Es ist ein Kaffeeklatsch, und ganz viele Freundinnen kommen auch. Du musst dich mal wieder blicken lassen, sie fragen schon nicht mehr nach dir. Die von Strebnitz, die ist was ganz Feines, alter Adel. Sie schreibt, sie hätte es geschafft, für ihre Gäste dieses neue Konfekt zu erwerben, von dem jetzt alle sprechen. »Blutstropfen« oder so. Obwohl, das klingt ja widerlich, nein, so kann das nicht heißen, warte mal ... »Herzeleid«, nein zu traurig. Ach, mir fällt es schon noch ein.“ Johanna nickte über den Fächer jemandem zu. Annabelle drehte sich erst gar nicht um. Sie konnte sich die vielen Gesichter nicht merken.
„ Was ist denn daran so Besonderes?“ Alter Adel … das klang schon furchtbar vertrocknet.
Jetzt wurde Johanna ganz wichtig: „Alle reden darüber! Es ist dauernd ausverkauft. Aber alle sagen, es ist ein Genuss! Marie und Gertrud haben es schon probiert und geben furchtbar damit an.“
„ Ich verstehe nicht. Es geht um Gebäck?“ Annabelle kratzte die Reste ihres Kuchens auf dem Teller zusammen und Johanna runzelte
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