Aetherhertz
wir nicht! Die Schleimhautprobe ist sehr auffällig. Es sieht nach Säure oder Gift aus.”
„ Ja, aber ich habe keine Ahnung, was das verursacht haben könnte. Fräulein Annabelle, ich könnte Professor Schmidt vorschlagen, dass Sie mir helfen. Dann ist das hier nicht nur Ihr Freizeitvergnügen, sondern richtige Arbeit.“
Sie war atemlos: Hans hatte eben zugegeben, dass sie etwas von Giften verstand, das war ein tolles Kompliment! „Hans, das ist eine wirklich gute Idee!“
Hans strahlte. „Ich geh gleich zu Professor Schmidt, dann brauchen Sie nicht gehen”, bot er an.
„ Ja, tun Sie das. Und bestellen Sie die Dragendorf Reagenz.” Sie sah noch einmal ins Mikroskop und dachte kurz nach. “Wo ist die Frau denn gestorben?“
Hans blätterte in der Akte: „Im Josefinenheim.“
Annabelle hielt inne und sah überrascht auf. „Sie war arm? Warum dann diese aufwendige Untersuchung?“
„ Nein, die war sicher nicht arm. Sie hatte weiche Haut und manikürte Fingernägel. Vielleicht sind die Eltern Ætherbarone.“ Klar, einer Tochter aus einem neureichen Haus würde man einen solchen Fehltritt zutrauen, den man mit einer geheimen Geburt verbergen musste. Ehrbare Frauen gebaren zu Hause, in ihrem Bett, in sauberer Bettwäsche, wo sie sich durch Hebammen gut versorgt wussten, und nicht in irgendeinem schmutzigen Krankenhaus.
„ Findest du das nicht seltsam?“, fragte sie.
„ Ist mir egal.“ Hans zuckte mit den Schultern. „Hauptsache jemand bezahlt.“ Er verließ das Labor.
„ Gestorben unter der Geburt“, las Annabelle im Bericht. Kein Name, nur eine Nummer, das war merkwürdig. Sie verstand immer noch nicht, warum man eine Untersuchung angefordert hatte. Es war nichts Ungewöhnliches, dass Frauen bei der Geburt starben. Trotz der durch Semmelweis eingeführten Hygienemaßnahmen war es immer noch ein riskantes Ereignis. Warum also wollte man es hier genauer wissen? Vielleicht war es doch nur Sodbrennen gewesen? Viele Frauen hatten das im späten Stadium der Schwangerschaft.
Annabelle beschloss, sich die Frau anzuschauen und ging in den Keller, wo die Toten aufbewahrt wurden.
Zum Glück war der Herr des Kellers beschäftigt; der Chefsezierer mochte keine Frauen an seinem Arbeitsplatz. Sie huschte an seinem Büro vorbei zu den Kühlfächern. Im dritten Fach fand sie, wonach sie suchte.
Hans hatte recht, die Tote war sicher nicht arm gewesen. Die Haut war samtweich, die Haare gepflegt und seidig, die Hände wiesen keinerlei Hornhaut auf und waren sauber manikürt. Trotzdem war sie ein schockierender Anblick, wie sie da so lag, kalt und bleich. Annabelle hielt sich die Hand vor den Mund und atmete möglichst flach. Sie hasste den Geruch der Konservierungsmittel.
Das Gesicht der Toten war zwar kalkweiß aber unversehrt. Die Haare lagen aufgefächert auf dem Metall und die Augen waren geschlossen. Äußerlich gab es keine Anzeichen einer Vergiftung oder Infektion. Sie deckte die Tote weiter auf.
Der Bauch war ein Schlachtfeld. Das durch die Schwangerschaft stark gedehnte Gewebe lag nun schlabberig und faltig auf dem leeren Rückgrat. Alle inneren Organe waren entnommen und in gesonderte Gefäße getan worden. Der Schnitt des Pathologen war gerade und sauber, da die Frau ja auch schon tot war, als er geschah. Der Dammschnitt des Geburtshelfers dagegen war unsauber und zackig. Das Gewebe war mehr gerissen als geschnitten. Annabelle sah sich die Gebärmutter an. Kein schöner Anblick: Auch hier war scheinbar brutal zu Werke gegangen worden.
Annabelle hätte sich gern ihren Handschuh ausgezogen und so mehr über die Tote erfahren, aber sie konnte es nicht riskieren. Der Herr des Kellers war ein humorloser strenger Mensch, der sowieso nicht begeistert war, wenn sie hier auftauchte. Wenn er sie erwischte, wie sie mit ihrer grünen Hand an der Frau herumfingerte, würde er sie sicher nicht mehr dulden. Außerdem waren die Informationen ihrer Hand oft verwirrend, manchmal waren es vage Eindrücke, manchmal 'sah' sie sehr realistische Bilder und sie hatte keine Lust, ein Geburtstrauma nachzuerleben.
Annabelle deckte die Tote wieder zu und schob sie zurück in das Kühlfach. Sie sah sich die Gläser mit den anderen Organen noch an. Die sahen normal aus, jedenfalls soweit sie das beurteilen konnte. Sie kannte sich gut mit Zellen aus, ganze Organe waren eine andere Sache. Sie würde Hans bitten, noch mehr Zellen daraus präparieren zu dürfen. Jedes Gift hatte seine bestimmten Stellen, an denen es
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