Aetherhertz
leicht die Stirn: „Nicht um irgendein Gebäck! Eine Praline. Jetzt weiß ich es: »Herzblut« heißt sie. Sie soll sagenhaft gut schmecken. Und sie ist mächtig teuer! Die Leute stehen Schlange auf der Straße, aber nur wenige bekommen welche.“
Das klang doch spannend, dachte Annabelle: „Warum gibt es nur so wenig? Warum machen sie nicht mehr davon?“
„ Woher soll ich das wissen? Was du immer wissen willst.” Johanna lehnte sich wieder zurück und fächerte sich Luft zu. “Wichtig ist, dass die von Strebnitz behauptet, sie hätte welche, das ich eingeladen bin und ich dich mitbringen darf. Du kommst doch? Zieh dir dein hübsches grünes Kostüm an, das mit den Perlen am Saum. Oder kauf dir mal ein Neues. Ich mach dir auch die Haare, ich habe da in einer Zeitschrift wunderbare Frisuren gesehen, und du hast so schönes dickes Haar. Auf jeden Fall brauchst du einen neuen Hut. Vielleicht kommt der Emil ja auch und bringt noch seinen Bruder mit, wie hieß der noch mal ... Johann oder Johannes oder Josef?“
Annabelle interessierte sich kein bisschen für den Bruder von Johannas Verehrer, aber für diese geheimnisvolle Praline. Sie stimmte zu, mitzukommen.
* * *
„ Dr. Wendt, hier ist jemand wegen des Kindes.“
Der Arzt drehte sich um und sah einen großen Mann in Uniform im Flur stehen.
Er führte den Mann in sein Büro.
Einen Moment schwiegen beide, dann holte der Arzt eine Flasche aus seinem Schrank und zwei Gläser. Er bot dem Uniformierten ein Glas an, der nickte.
„ Kirschwasser“, informierte Dr. Wendt. „Selbst destilliert.“
Der Mann nickte wieder.
Sie tranken.
„ Was passiert mit ihm?“
„ Das darf ich Ihnen nicht sagen.“
„ Ich verstehe.“ Er verstand gar nichts.
Stille.
„ Werden sie ihn gut behandeln?“ Warum fragte er eigentlich? Er musste sich abgewöhnen, sich für solche Dinge zu interessieren.
„ Selbstverständlich.“
„ Seine Mutter hat es nicht geschafft.“ Dr. Wendt wünschte sich, den Fall möglichst schnell vergessen zu können.
„ Vielleicht besser für sie.“ Der Uniformierte saß ganz ruhig und gefasst da.
„ Der Mann, der sie gebracht hat, ist einfach verschwunden. Die Nonnen haben die Polizei gerufen.“
„ Das wissen wir. Wir kennen seine Identität inzwischen.“
Das Militär, dachte Dr. Wendt. War das die Lösung? Sollte er seine Fragen vergessen? Konnte man etwas ändern, oder musste man einfach damit leben? Wo war Gott in diesen Momenten? Was war aus der Welt geworden? Er dachte an den Kölner Dom, dessen Wasserspeier zu unnatürlichem Leben erwacht waren. Die Stadt am Rhein war voller Verdorbener.
„ Und wenn sie Fragen haben?“ Dr. Wendt hasste die Gespräche mit aufgeregten Verwandten.
„ Es wird niemand kommen. Falls doch, beantworten Sie die Fragen.“
„ Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen? Dass ihre Tochter und Ehefrau ein Monster ausgetragen hat und bei dessen Geburt von den unnatürlichen Auswüchsen aus dem Schädel des Kindes innerlich zerrissen wurde? Dass wir das Kind weggegeben haben, damit das Militär sich darum kümmert, weil wir Angst haben, dass es nachts die anderen Kinder auf der Säuglingsstation angreifen könnte?“
Der Arzt schenkte sich noch ein Glas ein und trank es in einem Zug.
„ Offiziell ist das Kind gestorben”, sagte der Uniformierte fest.
Der Arzt blickte dem Mann lange in die Augen. Er sah in ihnen Mitleid, aber auch Unnachgiebigkeit.
Er nickte.
„ Obduzieren Sie die Frau. Finden Sie heraus, wie das geschehen konnte”, forderte der Uniformierte überraschend.
„ Ich bin Geburtshelfer, kein Pathologe.“
„ Finden Sie einen Weg, wir bezahlen das und teilen Sie uns die Ergebnisse mit. Schicken Sie es ausschließlich zu meinen Händen. Es soll nicht zu Ihrem Schaden sein.“
* * *
Annabelle betrat das pathologische Institut an dem Tag nach dem Besuch des Anwalts mit zögerlichen Schritten. Sie durfte in dem Labor arbeiten, weil ihr Vater ein Arrangement mit dem Institutsleiter, Professor Schmidt getroffen hatte. Wie würde der reagieren, wenn er erfuhr, dass man sie gebeten hatte, ihren Vater für tot zu erklären? Sie musste ihm die Entwicklung aber erklären und hoffte, dass sie trotzdem weiter dort forschen durfte.
Ihr Laborpartner Hans Zoller war schon da und stand vorn über gebeugt an seinem Mikroskop. Als sie eintrat, schaute er auf und griff zu seiner Brille.
„ Guten Morgen, Fräulein Rosenherz“, sagte er und kam auf sie zu.
„ Guten Morgen, Herr
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