AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
diese intensive Lehrtätigkeit konnte für Abaelard nicht gut gehen. Im Eifer der Liebeslust haben beide nicht an die Folgen gedacht: Heloisa ist schwanger. Die Affäre fliegt auf. Onkel Fulbert tobt, schreit und misshandelt seine Nichte, sperrt sie ein und vertreibt ihren Lehrer aus dem Haus.
Das Liebespaar entschließt sich zur Flucht. Abaelard bringt seine jugendliche Geliebte zur Schwester in die Bretagne. Dort sind beide außer Reichweite des wütenden Domherrn. Heloisa gebärt einen Sohn: Petrus Astrolabius. Sein Name ist Programm. Abaelards Sohn soll nach den Sternen greifen, weniger geht nicht.
Der intellektuelle Star von Paris ist jetzt in einer ungünstigen Karriere-Situation. Mit dem einflussreichen Kanonikus Fulbert hat er es sich verscherzt, seine Geliebte muss er in der Bretagne zurücklassen, guter Rat ist teuer: Abaelard will wieder alles haben. Er verspricht dem Domherrn, seine Nichte zu ehelichen und damit die Schmach zu tilgen, gleichzeitig soll die Heirat aber geheim bleiben, damit die Karriere des Theologen keinen Schaden nimmt. Verheiratete Kleriker, auch wenn sie wie Abaelard nur niedrige Weihen haben, gelten im Mittelalter als zweitrangig. Die Ehe – nicht die Schwängerung einer Schülerin – gilt als Rufschädigung. Mit dem Ehrenwort und einer Umarmung wird der Pakt besiegelt. Heloisa erfährt davon nichts. Die Braut wird nicht gefragt, sie fügt sich aber keineswegs willenlos in den Plan und argumentierte so, dass Abaelards Eitelkeit sich geschmeichelt fühlen musste: „Welche Rechenschaft müsste die Welt von ihr fordern, wenn sie ihr eine solche Leuchte entzöge? Wie viel Verwünschungen würden diesem Ehebund folgen, welcher Schaden der Kirche, wie viel Tränen der Philosophen? Wie erbärmlich, wie kläglich wäre es, wenn ein Mann wie ich, geschaffen für alle, sich einer einzigen Frau verschriebe und sich unter ein so schimpfliches Joch beugen wollte!“
Nun zitiert der Gelehrte die schmeichelhaften Argumente seiner 17-jährigen Geliebten eineinhalb Jahrzehnte später. Selektive Erinnerung scheint nicht ausgeschlossen. Doch auch Heloisa bestätigt diese Darstellung. In ihrem Antwortbrief, gerichtet an Abaelard, beteuert die zur Leiterin eines Nonnenklosters Gewordene „ihrem Herren, ja vielmehr ihrem Vater, ihrem Gatten, vielmehr Bruder – seine Magd, nein, seine Tochter, seine Gattin, nein seine Schwester“: „Kein Ehebündnis, keine Morgengabe habe ich erwartet, nicht meine Lust und meinen Willen suchte ich zu befriedigen, sondern den deinen, das weißt du wohl. Mag dir der Name ‚Gattin‘ heiliger und ehrbarer erscheinen, mir war allzeit reizender die Bezeichnung ‚Geliebte‘, oder gar – verarg es mir nicht – deine ‚Konkubine‘, deine ‚Dirne‘.“
„In wenigen Sätzen zertrümmert Heloisa die gesellschaftliche Wertung von Liebe und Ehe“, analysiert Eberhard Horst dieses erstaunliche Bekenntnis einer Frau, das einer frommen Äbtissin in einer Welt des 12. Jahrhunderts, die fast ausschließlich von religiösen Normen geprägt und bestimmt ist. Die junge Frau argumentiert schonungslos, mutig und revolutionär für ihre Zeit.
Abaelard will die Konventionen wahren und seine Karriere im Kontext der gesellschaftlichen Normen sichern. Er zwingt Heloisa zur Ehe. In Paris, im Beisein ihres Onkels und Vormunds, soll der Bund geschlossen werden.
In der Kapelle des Domherrenhofes verbringen die beiden Brautleute die Nacht vor der Eheschließung. Sie feiern die Vigilien. Am frühen Morgen, Aufsehen soll ja vermieden werden, wird die Ehe mit kirchlichem Segen geschlossen. Kanonikus Fulbert und die engsten Verwandten des Paares sind anwesend. Unmittelbar nach dem Jawort trennen sich die Wege von Abaelard und Heloisa.
Doch der fein gesponnene Plan wird zerrissen. Fulbert denkt nicht daran, die Eheschließung geheim zu halten. Er plaudert. Und auch Abaelard will die Freuden der Ehe genießen. Wieder schreibt Heloisa ehrlicher über die Zeit als ihr Ehemann: „Zuerst genossen wir die Freuden einer verstohlenen Liebe, wir buhlten miteinander, dann setzten wir die verstattete Liebe an die Stelle der verbotenen, wir deckten die schmachvolle Buhlerei mit dem Mantel einer ehrbaren Ehe.“
Die Affäre, die ja nun den Segen der Kirche hat, wird zum Stadtgespräch. Kanonikus Fulbert schikaniert seine Nichte. Wieder müssen die beiden aus Paris fliehen. Abaelard bringt seine Frau ins Nonnenkloster Sainte-Marie bei Argenteuil. Heloisa wird dort „Laienschwester“, ohne die
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