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AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN

AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN

Titel: AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Jelinek
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Mann, dem sie ihr Leben anvertraut hat, wahnsinnig? Doch nun ist es zu spät für Zweifel, der unwiderrufliche Schritt gesetzt. Die Flucht ist gelungen. Heute beginnt das neue Leben der Katharina von Bora.
    Ex-Mönch Luther, der die Flucht der frommen Frauen organisiert hat, schreibt zur Ehrenrettung des Fluchthelfers einen offenen Brief. Die Frau des ehrwürdigen Ratsherrn hat sich bitter bei Martin Luther beklagt: Ihrem Ehemann werde nachgesagt, er habe sich mit den entsprungenen Nonnen unziemlich vergnügt. Luther tritt dem Gerücht energisch entgegen: „Und wenn jemand dem Ratsherrn Leonhard Koppe Übles nachredet und ihn einen Räuber nennt (oder einen Narren, der sich von dem verdammten, ketzerischen Mönch in Wittenberg fangen lässt), so will ich, Luther, ihn einen seligen Räuber nennen. Wir sagen das deshalb deutlich, weil wir diese Entführung für gottgefällig halten und weil sie deshalb nicht das Licht scheuen muss. Wir sagen es auch deshalb, damit die Ehre der Jungfrauen und ihrer Verwandten nicht von giftigen Zungen geschmäht wird.“
    Im 15. und 16. Jahrhundert sind die meisten Klöster alles andere als ein Ort der Stille und inneren Einkehr. Viele Mönche und Nonnen fühlen sich nicht aus eigenem Antrieb zum geistlichen Leben berufen, sondern werden aus Versorgungsgründen von ihren Verwandten und Vormündern ins Kloster gesteckt. Dementsprechend wird in Visitationsberichten jener Zeit vor allem die Verweltlichung des Klosterlebens beklagt. Eileen Power zitiert in ihrem Buch „Das Leben der Frau im Mittelalter“ einen typischen Bericht aus jenen Tagen: Die Kontrolleure bemerken „eine Tendenz zum Zuspätkommen – besonders zur Messe am frühen Morgen – und zum Weggehen vor Beendigung des Gottesdienstes, oft unter fadenscheinigen Vorwänden. Doch das am meisten verbreitete Übel war, die Messe so schnell wie möglich herunterzuleiern, um sie hinter sich zu bringen.“
    Vor allem aber ist das Kloster kein Ort der Keuschheit: Bei einer Untersuchung der 88 österreichischen Klöster im Jahr 1563 zählte man 387 Mönche und 86 Nonnen. Bei den 387 Mönchen lebten 237 Konkubinen und 49 Ehefrauen. Die 86 Nonnen hatten insgesamt 50 eigene Kinder. Für diese verbotenen Beziehungen zahlten die Geistlichen vielerorts ihren hierarchischen Vorgesetzten eine „Entschädigung“ – den Hurenzins.
    Nicht alle kirchlichen Institutionen waren von diesem Sittenverfall betroffen. Im Zisterzienserinnenkloster Marienthron im sächsischen Nimbschen, in dem Katharina die letzten 15 Jahre zugebracht hatte, herrschten noch Zucht und Ordnung. Das Frauenkloster – rund 30 Kilometer südöstlich von Leipzig – hatte zur Zeit Katharinas schon eine 300-jährige Geschichte. Es war 1243 vom Wettiner Markgraf Heinrich (der Erlauchte) als Erinnerung an seine verstorbene Ehefrau Constantia von Österreich gegründet worden. Der fromme Graf wollte wohl im Glauben seiner Zeit mit der Klostergründung das Seelenheil seiner Gattin befördern. In Luthers Tagen lebten rund 40 Nonnen in Marienthron, das geistliche Leben verlor aber radikal an Anziehungskraft. Wenige Jahre nach der Flucht Katharinas lebten nur noch neun Nonnen im wirtschaftlich gesunden Kloster.
    Trotzdem ist Luther froh, die unfreiwillige Nonne und elf ihrer Mitschwestern den Klostermauern entrissen zu haben. Er weiß noch nicht, dass diese Flucht nicht nur Katharinas, sondern auch sein Leben für immer verändern wird.
    Am 21. Juni 1525 schreibt Martin Luther seinem Freund Nikolaus von Amsdorf: „Denn ich empfinde nicht hitzige Liebe oder Leidenschaft für meine Frau, aber ich habe sie sehr gern.“ Gemeint ist Katharina von Bora, die Luther acht Tage zuvor angetraut worden war.
    Die (nach damaliger Einschätzung) mit 26 Jahren nicht mehr ganz junge Katharina hat also mehr als zwei Jahre gebraucht, um unter die Haube zu kommen. Die meisten ihrer ehemaligen Mitschwestern wurden in Sachen Ehemann bedeutend schneller fündig. Besonders wählerisch konnte man als entsprungene Nonne wohl auch nicht sein, denn die meisten jungen Frauen standen vor einem Versorgungsproblem: Drei der flüchtigen zwölf kamen bei Verwandten unter; aber die Mehrheit der jungen Frauen war auf sich selbst gestellt. Ihre Familien weigerten sich, wohl aus Angst vor kirchlichen Repressalien, oft aber auch aus bitterer Not, die Geflohenen wieder aufzunehmen. So waren die Frauen gezwungen, auf die Nächstenliebe und Großzügigkeit Fremder zu hoffen. Reformator Luther brachte die mittellosen

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