AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
offenbar weitgehende Arrangements mit seiner Geliebten trifft, feiert Wien die Silberhochzeit des Kaiserpaars mit dem vom Historismus-Maler Hans Makart gestalteten Festzug über die Wiener Ringstraße. Hunderttausende stehen Spalier. Auf einem der Festwagen strahlt eine junge Schauspielerin. Katharina Schratt wird in die Geschichte der Monarchie als mütterliche Freundin des Kaisers eingehen – Anna wird vergessen sein. Aber wir greifen vor.
Anna und ihr Eisenbahner heiraten – es ist eine „Klausenburger Ehe“, schließlich ist Anna geschieden und dürfte kein weiteres Mal den Ehebund eingehen. Für solche Fälle gibt es eine Lösung. Das heutige rumänische Cluj war eine ungarische Freistadt und Sitz einer protestantisch-unitarischen Kirche, die eine Wiederverheiratung geschiedener Paare ermöglichte.
Dem Kaiser scheint es nur recht gewesen zu sein, dass sein diskretes „Gspusi“ nun unter dem schützenden Mantel einer ehrbaren Ehe weitergehen kann. Im Jahr ihrer Hochzeit erhält Anna jedenfalls vom Kaiser persönlich ein Kuvert mit 50.000 Gulden ausgehändigt. Die junge Frau soll um diese für sie gewaltige Summe eine Villa in der heutigen Maxingstraße kaufen. Die damalige Hetzendorfstraße führt direkt am Schlosspark von Schönbrunn vorbei. Noch heute ist in der gelb gestrichenen Gartenmauer eine kleine grüne Tür eingelassen. Franz Joseph ließ die Bresche schlagen, damit er direkt und möglichst unerkannt – nur schnell über die Straße – in die Villa seiner Geliebten gelangen konnte. Der „Hohe Herr“, beinahe vergötterter Monarch, muss sich heimlich im Dunkel des frühen Morgens aus seinem Schloss stehlen und um Einlass bitten. Der Kaiser schleicht wie ein Dieb durch die Gegend, vermeidet den Kontakt zu Passanten, muss Wachleute abschütteln. Es geht zu wie in der Karikatur. Anna gibt Ratschläge, wie der Kaiser unauffällig beim geheimen Hintereingang unbemerkt das Haus betreten könne: „Majestät! Ich möchte Ihnen den Rath geben, ganz ungeniert hinab zu gehen, geht gerade jemand, dann lenken Sie Ihre Schritte gegen den Friedhof oder gehen im Feldgassel ein Stück hinauf. Sobald die Luft rein ist, lasse ich Sie beim Thürl rein.“ Tatsächlich fühlt sich die Majestät nicht sicher, schlendert am eigentlichen Ziel vorbei, interessiert sich für den Friedhof, kommt erst mit Verspätung zum Gartentor herein und ist echauffiert: „Gerade hier vor der Tür sucht ein altes Weib auf dem Kleeacker herum, welches nicht vom Fleck kommt.“
Das kleine, feine Haus ist noch heute weitgehend unverändert erhalten. Es hat damals 50.000 Gulden (heute wäre das etwa eine halbe Million Euro) gekostet, die Renovierungsarbeiten verschlangen noch einmal so viel. Auf dem Kleeacker gegenüber steht die Residenz des US-Botschafters in Wien. War der Eisenbahner-Ehemann eingeweiht? Wahrscheinlich. Wie hätte Anna ihrem Ehemann erklären können, dass sie sich so viele tausend Gulden für den Kauf einer Villa direkt neben dem kaiserlichen Schloss erspart habe? Franz Nahowski lieferte für seine Frau (und für den Kaiser) das gesellschaftliche Alibi. Anna hatte als verheiratete Frau einen Gatten, dem die zwei Kinder zuzurechnen waren, die sie in den folgenden Jahren gebar. Tochter Helene kam 1885 auf die Welt. Helene Nahowski ehelichte später den Komponisten Alban Berg. Georg Markus zitiert aus den Erinnerungen des Neffen von Alban Berg: „Annas zweiter Mann musste sich in die Rolle des offiziellen Vaters einfinden. Es ist nach den Berichten Helene Bergs immer wieder zu großen Eifersuchtsszenen zwischen den Eheleuten gekommen; der Effekt war, dass Nahowski von Zeit zu Zeit in die äußersten Winkel der Südbahn versetzt wurde.“
Ein Wink des Kaisers reichte da wohl aus. Schließlich wollte der Monarch bei seinem Abenteuer nicht von einem gehörnten Ehemann gestört werden. Die „bessere Wiener Gesellschaft“ ging stillschweigend von der kaiserlichen Abstammung Helenes aus. In der Chronik des Wiener Musikvereins wird ein Besuch im Kärntner „Waldhaus“ des Komponisten beschrieben. Die Besucher können im Kleiderkasten zwei sorgfältig gebügelte Nachthemden mit eingestickten Jahreszahlen 1875–1880 und 1885–1893 bewundern. Anna Nahowski, Mutter von Alban Bergs Ehefrau Helene und deren Bruder, hatte die intimen Begegnungen mit dem Kaiser auf ihre Art festgehalten.
In der Maxingstraße 46 konnte Franz Joseph so bieder sein, wie er es gerne wollte, losgelöst von den Verpflichtungen des Regierens und
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