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AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN

AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN

Titel: AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Jelinek
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der Repräsentation. Anna bot ihm nicht nur leibliche Vergnügungen, Kipferl und Kaffee zum Frühstück, sondern Kontakt zum Volk. In dieser anderen – wirklicheren – Welt war er gern zu Hause. Besondere intellektuelle Ansprüche stellte der Kaiser an seine Geliebte nicht. Sie war hübsch, mollig und unkompliziert. Überspannte Gedichte schrieb ohnehin schon seine Gemahlin, Kaiserin Elisabeth. Ende des Jahres 1886 kommt es zur Krise. Ganz Wien tratscht darüber, dass der 56-jährige Monarch die berühmte Burgtheater-Schauspielerin Katharina Schratt verehrt. Anna spioniert dem Kaiser nach, überrascht die beiden im Schönbrunner Park, stellt ihn zur Rede – der apostolische Kaiser und König Franz Joseph leugnet.
    Doch die Tatsachen sprechen für sich. Immer seltener erscheint der Kaiser. Anna versucht es mit den Waffen einer Frau um die Jahrhundertwende. Sie schmollt. „Sie haben vielleicht die Schratt in Schönbrunn getroffen und gleichzeitig mich besucht, denkend dies geht in einem Aufwaschen.“ Sie verweigert sich des Kaisers Wünschen. Franz Joseph nimmt sich mit Gewalt, was ihm vorenthalten werden soll. Anna notiert im Tagebuch den Tatbestand einer sexuellen Nötigung: „Mit einer raschen Bewegung hat er mich erfasst und hielt mich fest. Jeder Versuch, mich freizumachen, war umsonst. Er zog mich mit Gewalt nach meinem Bett, mein zorniges Gesicht mit Küssen bedeckend.“
    Franz Joseph erneuert mit Katharina Schratt das bewährte Arrangement. Auch die Schauspielerin empfängt den Monarchen zum Frühstück. Auch sie bewohnt eine Villa in Gehweite des Schönbrunner Schlossparks.
    Das Dreiecksverhältnis wird dem Kaiser ein wenig zu mühsam. Annas Eifersucht nervt den Monarchen. Im Frühjahr 1889 – wenige Wochen nach der Affäre von Mayerling, dem Selbstmord des Thronfolgers Erzherzog Rudolf nach der Erschießung seiner jugendlichen Geliebten Mary Vetsera – bittet Baron Friedrich von Mayr, der Generaldirektor des Kaiserlichen Familienfonds, Anna Nahowski in sein Büro in der Hofburg. Nicht der Kaiser teilt ihr mit, dass es „aus“ sei, sondern ein Beamter. Anna ist verbittert, will den Geliebten sprechen, wird aber nicht vorgelassen. Sie begegnet ihm nie wieder. Ihr wird mitgeteilt, dass sie die Höhe der Abfindung „für die vierzehn Jahre im Dienste des Kaisers“ selbst bestimmen kann. Als Gegenleistung muss sie eine Erklärung unterschreiben: „Ich bestätige hiermit, daß ich am heitigen Tag 200.000 fl. (Gulden) als Geschenk von Seiner Majestät den Kaiser erhalten habe. Ferner schwöre ich, daß ich über die Begegnung mit Seiner Majestät jederzeit schweigen werde. Anna Nahowski Wien, 14. März 1889.“
    Ab diesem Zeitpunkt beginnt auch der intime Kontakt zur gefeierten Burgschauspielerin. Drei Jahre lang hatte der Kaiser versucht, sich „zu beherrschen“. Ab dem Ende der Beziehung zu Anna unterschreibt Franz Joseph seine Briefe an Katharina Schratt als „Ihr Sie innigst liebender Franz Joseph“. Zuvor lautete die Schlusswendung: „Ihr treu ergebener Franz Joseph“.
    Anna hält sich an die Vereinbarung mit dem Kaiser. Sie schweigt. 1931 stirbt sie im Alter von 71 Jahren in Wien – nicht ohne die Tagebücher vorher ihrer Tochter Helene übergeben zu haben. Diese vertraut sie der in der Österreichischen Nationalbibliothek befindlichen Alban-Berg-Stiftung an.
    Der Sohn von Anna und dem Kaiser, auf den Namen Franz Joseph getauft und Frank genannt, starb in der Nervenheilanstalt Steinhof. Dorthin wurde der Schizophrene gebracht, als er sich im Jahr 1930 den kleinen Finger abgeschnitten und die Gliedmaße auf das Grabmal von Franz Joseph I. in der Kapuzinergruft am Wiener Neuen Markt gelegt hatte. Anna Nahowski und ihr Sohn sind auf dem Hietzinger Friedhof bestattet, etwas versteckt hinter den Granit-Grabstätten der Hietzinger Adels- und Bürgerfamilien. Auf dem Grabstein stehen nur ihr Name und der ihres Sohnes. Kein Geburts-, kein Sterbedatum – ein verwittertes Kreuz. Das Grab befindet sich kaum 200 Meter von einer kleinen grünen Türe entfernt, die – heute versperrt – in den Schlosspark von Schönbrunn führt.
    *
    Sigrid-Maria Größing, Sisi und ihre Männer, Wien 2008.
    Sabine Fellner/Katrin Unterreiner, Frühere Verhältnisse, Wien 2010.
    Georg Markus, Katharina Schratt, Wien 1982.
    Anna Eunike Röhrig, Mätressen und Favoriten, Göttingen 2010.
    Friedrich Saathen (Hrsg.), Anna Nahowski und Kaiser Franz Joseph. Aufzeichnungen, Wien 1986.
    Robert Alan Palmer, Franz Joseph I.,

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