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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Absätze der Hausmädchen an den plappernden Pagen vorbeiklappern, wie immer um diese Tageszeit gab es nicht viel zu tun. Wie sie aus Erfahrung wusste, hockten die Jungen, mit den Füßen patschend, auf den kühlen Steinfliesen am Gitter zum Innenhof, prahlten mit ihren gesammelten Zigarettenstummeln und erzählten sich Klatschgeschichten von Hollywoodstars und Episoden aus deren Filmhits. Die Einfalt der ungebildeten Bauernsöhne aus dem Gebirge rührte die Frau fast schmerzhaft an. Von ihren weiblichen Gegenstücken, entsprechend muslimanischer Landessitte die langen dunklen Haare unter Kopftüchern verborgen, drangen Geschwätzfetzen ins Zimmer über Popstars wie Madonna, die sich befremdlicherweise nach der Mutter Gottes nannte, und die dunkelhäutige Jackson-Familie, als lebten diese seit jeher in ihrer Dorfgemeinschaft.
    Die Zimmerbewohnerin, noch immer unter dem Eindruck des gerade geträumten Alpdrucks, lächelte gequält und dachte daran, dass die jungen Leute hart und lang arbeiteten für wenige und wertlose Dinare in der Woche im Gasthaus Stari Grad. Es gehörte Frau Murira, und die noch nicht alte, geschäftstüchtige Kriegerwitwe hatte den jungen Leuten nach Aussage des Zimmermädchens eingeredet, dass die serbischen Aggressoren sie unter Beihilfe der blaubehelmten Soldaten wegen ihres islamischen Glaubens bei lebendigem Leibe rösten würden, falls sie je wieder in ihre Heimatdörfer zurückkehrten. Hier könnten sie sich fühlen wie Haustöchter und Erbsöhne, erhielten an Essen, was aufzutreiben sei, und hätten schließlich ein Dach über dem Kopf. Außerdem hatte Frau Murira in Bälde ein reichliches Taschengeld versprochen für Kino, Modeschmuck und Kaugummi. Im Augenblick, der sich mittlerweile ins dritte Bürgerkriegsjahr hinzog, hausten die Kinder unter dem regen- und kältedurchlässigen Dach, litten argen Hunger und sprachen längst nicht mehr über Dinge, die in eine hoffnungsfrohe Zukunft weisen konnten.
    Derart abgelenkt von eigenen Befürchtungen und Zukunftsängsten nahm die Frau den klingelnden Telefonapparat zum zweiten Mal wahr, erhob sich jedoch nicht vom Bett. In langsamer Bewegung legte sie die Hände auf ihren dumpfschweren Kopf. Wie stets, wenn sie nachmittags geschlafen hatte, dauerte es nach dem Aufwachen mindestens eine Viertelstunde, bevor sich der Druck auf Stirn und Schläfen verflüchtigte. Dieses Land dörrte seinen Bewohnern das Blut in den Adern aus oder ließ es, im Winter, gefrieren. Die mörderische Hitze dieses Sommers beschwor einem Nordländer ständig das Gefühl lähmender Muskulatur und erschlaffter Sinne herauf. Lange war es her, seit sie Sehnsucht danach verspürt hatte, in warmem Klima zu leben. Der Gedanke an einige Wochen in Südostasien, auf halbem Wege zwischen Äquator und dem Wendekreis des Krebses, ließ sie den Kopf schütteln über derartiges Begehren, das sie mitten in diesen unerträglich heißen Brutkessel des steilfelsigen Schluchtenlandes geführt hatte. Gleichwohl dachte sie nicht im Entferntesten daran, nach Hause, etwa an ihren Schreibtisch in einem Berliner Verwaltungshochhaus, zurückzukehren, sondern malte sich einen längeren Aufenthalt aus; zumindest den nächsten Winter über wollte sie bleiben.
    Der Alptraum hatte sich, nicht zum ersten Mal, in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins verdrängen lassen, und beim dritten Telefonklingeln stand die nicht mehr ganz junge Frau auf. Sie war mittelgroß und nicht gerade mager, freilich kein bisschen füllig, mit blondem, sonngesträhntem Haar und wind- und wettergebräuntem Gesicht. In der Duschkabine hielt sie den Kopf unter den lauwarmen Wasserstrahl, ehe sie tropfnass, nur mit amarantfarbenem Body bekleidet, im Halbdunkel zu dem kleinen Beistelltisch tappte, sich auf die Fersen hockend den Hörer abnahm und mürrisch in die Muschel sprach: „Ja? Klingor?“
„Die Schlafmütze liegt im Bett und schwelgt in süßen Träumen“, hörte sie den Anrufer statt einer Begrüßung sagen. Sie erkannte Burkharts sonore Stimme, der sich am Telefon zu melden pflegte, ohne sich namentlich zu identifizieren. Und noch immer, selbst nach fünf Jahren in den Staaten, schien er deutsche Worte lieber zu sprechen als amerikanische.
    „Keineswegs.“ Sie hob die Augenbrauen, ließ den Hörer sinken und versuchte durch fieberhaftes Kopfschütteln die jäh wieder aufblitzenden Bilder des dreiköpfigen Scheusals und der zerfleischten Un-Tiere vor ihrem inwendigen Auge zu verscheuchen.
    „Hallo, Anica, bist du

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