After Moonrise (German Edition)
dieses Gefühl, wusste, was als Nächstes kommen würde – dass ihm bald Stunden fehlen würden … Tage vielleicht … Er wusste nur nicht, warum das mit ihm passierte … oder was …
Schwärze …
Nichts …
Leere …
5. KAPITEL
N ichtschon wieder, dachte Harper. Panik stieg in ihr auf, als sie auf ihre mit Farbe bespritzten Hände hinabstarrte. Sie umklammerte einen Pinsel, und die Farbe floss, tropf … tropf … tropf, scharlachrot auf ihre nackten Füße. Übelkeit blühte in ihrer Magengrube auf wie eine giftige Blume, deren Pollen sich in ihrem Körper ausbreiteten, kleben blieben und wuchsen, bis ihr Blut zu Eis erstarrt war, ihre Haut Feuer fing und der keuchende Atem in ihren Lungen brannte.
Ehe sie aufsah und sich dem stellte, was sie geschaffen hatte, wirbelte sie herum und sah sich um. Sie befand sich im Atelier ihres Apartments. Erleichtert ließ sie die Schultern sinken. Okay. Mit allem anderen kam sie zurecht. Oder?
Sie nahm weitere Details wahr. Die Uhr an ihrer Wand zeigte 12:01 – nein, 12:02. Das Dunkel der Nacht war durch einen Schlitz in den roten, orangefarbenen und gelben Vorhängen, die Lana genäht hatte, zu erkennen, und Regen schien in der Luft zu liegen. In der Ferne grollte Donner.
Früher hatte es einmal eine Zeit gegeben, da hatte sie Gewitter geliebt. Den Duft und die Abkühlung, das Gefühl von Regentropfen auf ihrer Haut. Doch in letzter Zeit erinnerte es sie zu sehr an Lanas Tränen, und auch an die Tränen, die sie selbst manchmal weinen wollte. Jetzt, wo die Liebe gestorben war. So tot wie das Mädchen auf deinem Bild .
Bah. Die Übelkeit wurde stärker. Also … sie musste einen Blackout gehabt haben. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, wie sie auf der Couch neben Lana saß und sich mit ihr unterhielt. Sie hatte auf Levi gewartet und währenddessen gleichzeitig gehofft und befürchtet, dass er etwas herausgefunden hatte. Danach … nichts.
Plötzlich blitzte es, der Himmel leuchtete golden auf, und – ein Schrei blieb ihr in der Kehle stecken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ein Mädchen stand auf dem Balkon vor ihrem Fenster und starrte sie aus violetten Augen an. Noch andere Details fielen ihr auf. Ein Schwall schwarzer Haare, der sehnsüchtige Blick einer jungen Frau, die bereit war, sich zu verlieben, zufrieden mit ihrem Leben und gleichzeitig unglücklich.
Wie lange stand das Mädchen schon da und beobachtete sie? Hatte es bemerkt, welche Szene auf der Leinwand abgebildet war? So wie die Fragen Harpers Gedanken füllten, füllte sich ihr Bauch mit Wut. Diese Spannerei musste aufhören. Sofort.
Sie ließ ihren Pinsel los, hörte, wie er auf die Plastikplane fiel, mit der sie den Boden abdeckte, und stapfte zum Fenster.
Als sie die Fensterscheibe hochgeschoben hatte, war das Mädchen verschwunden. Kalte feuchte Luft wehte in den Raum und brachte den Duft nach Gewürzen und frisch gemähtem Gras mit. Beides reichte nicht aus, um sie zu beruhigen. Ihre Wut wuchs nur noch weiter.
Harper biss die Zähne zusammen, während sie die Scheibe wieder herunterschob und den Riegel vorlegte. Sie schloss die Vorhänge und achtete dabei darauf, den Saum umzuschlagen, damit auch nicht der kleinste Spalt entstehen konnte. Dann stand sie einige Minuten lang einfach nur da. Sie wusste, dass sie nur Zeit schindete, wusste, dass sie sich bald umdrehen und sich noch einmal der Wahrheit stellen musste. Vielleicht war dieses Mal das letzte. Vielleicht hatte sie dieses Mal das Gemälde vollendet, und alle Antworten fielen an ihren Platz.
Vielleicht.
Aber hoffentlich nicht.
So sehr sie es wissen wollte, wollte sie es auch wieder nicht wissen.
„Ich kann das“, murmelte sie leise. Langsam, ganz langsam, drehte sie sich auf den Fersen um. Sie atmete tief ein, tief wieder aus, und hob den Blick.
Und da war es, ihr Gemälde. Die Deckenleuchte schien einen Scheinwerfer auf die Leinwand zu richten, und … Nein, nein, nein! Sie war noch nicht fertig, der Mann hatte noch kein Gesicht, aber die Frau hatte sie vollendet.
Lana war die Frau auf der Metallplatte, und eine blutige Klinge war auf ihr Herz gerichtet.
Lana. Ihre Lana.
Nein, nein, nein ! Das war unmöglich. Das konnte nicht sein. Lana hätte ihr erzählt, wenn sie einen solchen Albtraum durchgemacht hätte und daraus irgendwie entkommen war. Lana war am Leben, und genau wie sie selbst war sie nie mit Verletzungen nach Hause gekommen.
Woher willst du das wissen? Du hast Blackouts, dir fehlen Zeitspannen. Was,
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