After Moonrise (German Edition)
Schwellungen an Auge und Wange waren abgeklungen, und seine Haut war nur noch ein wenig verfärbt. Letzte Nacht war er noch grün und blau gewesen. Die aufgeplatzte Lippe war bereits verschorft.
„Du heilst schnell“, stellte sie fest.
„Harper“, sagte er seufzend, „die Wände.“
Richtig. Die Wände. „Letzte Nacht waren sie noch leer.“
Er erstarrte, die Hand, mit der er das Kaffeepulver einfüllen wollte, noch erhoben. Langsam stellte er alles hin und drehte sich zu ihr um. „Bist du sicher?“
„Ja. Ich sehe mir bei allen Leuten die Wände an.“
Er zog die Brauen zusammen. Auf einmal sah er so verwirrt aus, wie sie sich fühlte. „Warum?“
„Wegen der Kunst natürlich. Man kann daraus sehr viel über einen Menschen lernen.“
Er schüttelte den Kopf, als wollte er einen lästigen Gedanken abschütteln. „Und meine waren … leer, sagst du?“
„Ja. Und eine andere Farbe! “
Er ließ den Blick noch einmal über jedes der Bilder wandern, verweilte darauf, nahm jedes Detail wahr. „Ich erkenne jedes einzelne, und ich kenne die Farbe. So haben sie ausgesehen, seit ich eingezogen bin.“
Ihr Magen sank ihr bis in die Kniekehlen. Das war mehr, als sie ertragen konnte. „Einer von uns muss sich irren.“
„Oder wir haben beide recht, und irgendetwas Merkwürdiges geht vor sich. “ Er rieb sich den Nacken. „Vergiss den Kaffee. Lass uns duschen und dann gleich mit Lana reden.“
„Duschen … zusammen?“
„Naja, heute nicht“, murmelte er. „Du kannst ins Gästebad, wenn du willst.“
„Ich will. Danke. “ Auch wenn die Versuchung groß war …
Während er von der Küche ins Badezimmer stapfte, stand Harper auf.
Das Gästebadezimmer war schnell gefunden, und darin entdeckte sie eine noch eingeschweißte Zahnbürste, eine frische Tube Zahnpasta und alles, was es auf der Welt an Damenhygiene-Produkten gab.
So kalt und knurrig Levi sich auch geben mochte, auf Damenbesuch war er jedenfalls bestens vorbereitet. Harper war sich nicht sicher, ob ihr das gefiel. War er ein Aufreißer?
Es war nicht so, als hätte Harper irgendein Anrecht auf ihn, besonders, da sie ihn gerade abgewiesen hatte. Aber trotzdem. Er hatte sie die ganze Nacht im Arm gehalten. Und davor hatte er sie geküsst. Also … Also habe ich sehr wohl ein Anrecht auf ihn .
Okay, am Anfang hatte sie vorgehabt, ganz sachlich mit ihm zu bleiben. Na und? Dann hatte sie ihre Meinung eben geändert. Dieses Mal war sie sich ganz sicher. Wenn er lieber sein Junggesellendasein genießen wollte, hätte er sie nicht unter seine Dusche einladen sollen. Er hätte seine Lippen und Hände bei sich behalten sollen. Er hätte sich weigern sollen, mit ihr zu kuscheln und sie zu beschützen.
Als sie klitschnass aus der Duschkabine trat, wünschte sie sich, sie hätte zuerst nach einem Handtuch Ausschau gehalten, ehe sie das Wasser angestellt hatte. Sie fand einen kleinen Stapel Kleidungsstücke neben dem Waschbecken. Ein T-Shirt und Jogginghosen – keines von beidem gehörte ihr.
Dieser Levi , dachte sie und war sich nicht sicher, ob sie grinsen oder ihn ohrfeigen wollte. Sie hatte abgeschlossen, und er war dennoch reingekommen. Wenigstens waren die Kleider von ihm und nicht von irgendeiner anderen Frau.
Bis sie damit fertig war, den weichen und viel zu weiten Stoff an Taille und Knöcheln umzuschlagen, war er schon im Wohnzimmer und wartete auf sie. Er musterte sie von oben nach unten und nickte anerkennend, obwohl ihr Haar nass war und die weite Kleidung sie aussehen ließ, als hätte sie zehn Kilo zugenommen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten.
Während ihr Herz wie wild schlug, unterzog sie ihn der gleichen Musterung. Er trug wieder ein schwarzes Hemd und schwarze Hosen, aber irgendwie sah er darin besser aus als je zuvor. Wie unfair.
Als er sie auf den Flur hinausführte, sagte sie: „Also, die ganzen Tampons in deinem Gästebad …“
„Sind nicht meine, darauf kannst du dich verlassen“, sagte er, während er die Tür abschloss.
„Das weiß ich auch, Idiot! Wem gehören sie?“
„Die Antwort wird dir nicht gefallen.“
„Sag es mir trotzdem.“
„Die gehörten meiner Ex, und ich hab sie noch nicht weggeworfen. “ Er begleitete sie den Flur hinab und die Treppe hinauf bis zu ihrer Wohnung.
„Warum sollte ich deswegen sauer werden?“
„Du könntest denken, ich habe sie behalten, weil ich noch Gefühle für meine Ex hätte. Habe ich aber nicht. Du könntest denken, ich hätte sie für deine
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