Ein Mord wird angekündigt
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A n jedem Wochentag zwischen 7 Uhr 30 und 8 Uhr 30 macht Johnnie Butt auf seinem Rad die Runde durch das Dorf Chipping Cleghorn und steckt die verschiedenen Zeitungen in die Brie f kästen der Häuser, so wie sie bei Mr Totman, seines Zeichens Schreibwaren- und Buc h händler, bestellt worden waren.
Colonel Easterbrook erhält die Times und den Daily Graphic, Mrs Swettenham die Times und den Daily Worker, bei Miss Hinchliffe und Miss Murgatroyd gibt er den Da i ly Telegraph und den New Chronicle ab und bei Miss Blacklock den Telegraph, die Times und die Daily Mail.
Am Freitag erhält jedes Haus im Dorf außerdem ein Exemplar der North Benham and Chipping Cleghorn Gazette, allgemein die Gazette genannt – und die meisten Einwo h ner von Chipping Cleghorn greifen nach einem flüchtigen Blick auf die Schlagzeilen der Tageszeitungen voll Ne u gierde nach der Gazette und vertiefen sich in die Loka l nachrichten. Oberflächlich werden die »Briefe an die R e daktion« gestreift, in denen die Zänkereien und Fehden der ländlichen Gegend ihren Niederschlag finden, und dann wenden sich neun von zehn Abonnenten dem Ins e ratenteil zu.
Auch am Freitag, dem 29. Oktober, gab es keine Au s nahme von dieser Regel.
Mrs Swettenham strich sich ihre hübschen grauen Löckchen aus der Stirn, öffnete die Times, überflog sie und fand, dass es dem Blatt wie gewöhnlich gelungen war, etwa aufregende Nachrichten geschickt zu verbe r gen.
Nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatte, legte sie das I n telligenzblatt beiseite und griff neugierig nach der Chipping Cleghorn Gazette.
Als ihr Sohn Edmund kurz danach ins Zimmer trat, war sie schon in die Inserate vertieft.
»Guten Morgen, mein Kind«, sagte sie. »Die Smedleys wollen ihren Daimler verkaufen – Modell 1935 … reic h lich alt.«
Ihr Sohn grunzte etwas vor sich hin, goss sich eine Ta s se Kaffee ein, nahm zwei Brötchen, setzte sich an den Tisch, öffnete den Daily Worker, sein Leib- und Mage n blatt, und lehnte es an den Toastständer.
»›Junge Bulldoggen‹«, las Mrs Swettenham vor. »Ich weiß wirklich nicht, wie Leute es heute noch fertig bri n gen, große Hunde zu füttern. Hm, Selina Lawrence sucht schon wieder eine Köchin; ich könnte ihr sagen, dass solche Anzeigen in dieser Zeit reine Verschwendung sind … Sie hat noch nicht mal ihre Adresse angegeben, nur eine Chiffrenummer – das ist ganz schlecht, ich hätte ihr sagen können, dass Dienstboten immer zuerst wissen wollen, wo sie arbeiten sollen. Sie legen Wert auf eine gute Adresse … Falsche Zähne – ich verstehe wirklich nicht, warum falsche Zähne so beliebt sind … Herrliche Blumenzwiebeln, unsere Spezialauswahl, äußerst preisgün s tig – scheinen wirklich nicht teuer zu sein … Hier möchte ein Mädchen › Interessante Stellung – Reisen erwünscht‹. Na, wer wünscht sich das nicht? Dachshunde – ich habe Dachshu n de nie besonders gemocht … Ja, Mrs Finch?«
Die Tür hatte sich geöffnet und gab den Blick frei auf Kopf und Oberkörper einer grimmig blickenden Frau mit einem abgeschabten Samtbarett. »Guten Morgen, Ma ’ m«, sagte Mrs Finch. »Kann ich abräumen?«
»Noch nicht. Wir sind noch nicht ganz fertig«, erwiderte Mrs Swettenham freundlich, aber mit Nachdruck.
Mrs Finch streifte Edmund und seine Morgenlektüre mit einem seltsamen Blick und zog sich schniefend z u rück.
»Was heißt ›noch nicht ganz fertig‹«, protestierte E d mund, »ich habe doch gerade erst angefangen.«
»Ich wünschte, Edmund, du würdest nicht dieses gräs s liche Blatt da lesen, Mrs Finch kann es überhaupt nicht le i den«, klagte Mrs Swettenham.
»Ich verstehe nicht, was meine politischen Ansichten mit Mrs Finch zu tun haben, Mutter.«
»Außerdem«, fuhr Mrs Swettenham unbeirrt fort, »wenn du wenigstens ein Arbeiter wärst. Aber du tust doch keinen Handschlag.«
»Das ist einfach nicht wahr«, antwortete Edmund e m pört. »Ich schreibe ein Buch.«
»Ich meine richtige Arbeit«, beharrte Mrs Swettenham ungerührt. »Und was machen wir, wenn Mrs Finch nicht mehr zu uns kommen will?«
»In der Gazette annoncieren«, schlug Edmund grinsend vor.
»Ich hab dir gerade erzählt, dass das sinnlos ist. Oh, mein Lieber, wenn man heutzutage nicht eine alte Ki n derfrau in der Familie hat, die auch kocht und alles mö g liche andere tut, ist man aufgeschmissen.«
»Na gut – und warum haben wir keine alte Kinderfrau? Warum hast du mich nicht rechtzeitig mit einer versorgt? Was hast du dir
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