Aibon-Teufel
Vogelmädchen.
Sie hatte sich ebenfalls über mein Kommen gefreut und mich umarmt, als wollte sie mich erdrücken. Sie und Maxine wussten, welchem Job ich nachging, und sie hatten in der Vergangenheit ebenfalls so manch ungewöhnliches Abenteuer mit mir zusammen erlebt. So wussten beide, dass es nicht nur unsere sichtbare Welt gab, sondern auch eine andere Seite, von der die meisten Menschen nicht mal etwas ahnten.
Carlotta schmeckte es ebenfalls. Sie hatte mir gesagt, dass sie sich bei Maxine, der Tierärztin, wohl fühlte, aber sie hatte auch eine leichte Kritik anzubringen.
»Max hat immer Angst um mich, wenn ich mal losfliege.«
»Zu Recht!«, sagte ich.
»Ach. Ist ja klar, dass du zu ihr hältst.«
Ich blieb beim Thema und meinte nur: »Denk mal daran, was dir schon alles passiert ist. Ungefährlich ist es nie gewesen.«
»Aber auch spannend.«
»Ja.« Ich schaute sie an. Fein geschnittene Gesichtszüge, helle Augen, ein freundlicher Blick und Flügel auf dem Rücken, die sie zusammengelegt hatte.
Kokett sah sie mir ins Gesicht. »Wolltest du nicht noch etwas sagen, John?«
»Lebensgefährlich, Carlotta. Das ist der richtige Ausdruck. Du hattest Glück.«
»Das wird auch so bleiben«, erklärte sie voller Optimismus. »Schließlich hatte ich in den ersten Jahren meines Lebens Pech. Da hat das Schicksal an mir noch etwas gutzumachen.«
Ihr Optimismus war einfach ungebrochen. Auch Maxine kam nicht dagegen an. Sie hob nur die Schultern. Wir beide stellten fest, dass Carlotta etwas auf dem Herzen hatte, denn sie rutschte unruhig von einer Pobacke auf die andere.
»Was ist denn?«, fragte Maxine.
»Tja – hm – was ich sagen wollte. Eigentlich hatte ich vor, noch einen kleinen Ausflug zu machen.«
»Ach. Du willst fliegen?«
Sie nickte der Tierärztin zu.
»Aber das Wetter ist nicht eben ideal.« Maxine deutete zum Fenster. »Erstens ist es kalt und zweitens hängt der Himmel voller Wolken. Es riecht wieder nach Schnee. Ich kann mir vorstellen, dass es keinen großen Spaß macht, durch ein Schneegestöber zu fliegen. Bei mir wäre das jedenfalls so.«
»Sollte es anfangen zu schneien, kehre ich um. Versprochen.«
Maxine Wells kannte Carlotta besser als ich. Sie verdrehte die Augen, was auch das Vogelmädchen sah und deshalb seinen letzten Trumpf ausspielte.
»Außerdem wollt ihr sicher allein sein. Ich würde sowieso nur stören, denke ich.«
»Nein, Carlotta. Du...«
»Ha, das sagst du nur so. Heute Nachmittag hast du aber anders geredet.«
Ich musste lachen, als ich sah, wie verlegen die Tierärztin plötzlich wurde.
Bevor sie eine Antwort geben konnte, kam ich ihr zuvor. »Lass sie gehen, Max.«
Carlotta hob den rechten Zeigefinger. »Nein, fliegen.«
»Oder auch das«, sagte ich.
»Und kalt wird es mir da oben schon nicht werden. Ich habe dicke Klamotten.« Sie rieb über ihren Bauch. »Außerdem bin ich satt, und etwas Bewegung kann nie schaden, das hast du auch immer gesagt, Max.«
»Stimmt.«
»Ich räume auch meinen Teller weg.« Carlotta stand bereits auf und setzte ihren Vorschlag in die Tat um.
»Soll ich sie lassen, John?«
»Klar. Sie ist bisher immer zurückgekommen.«
»Aber es gab auch Probleme.«
»Das scheint unser Schicksal zu sein.«
Carlotta kehrte aus der Küche zurück. Sie blieb in der offenen Tür stehen.
»Und? Habt ihr euch entschieden? Wollt ihr allein bleiben und einen schönen Abend haben, oder soll ich euch nerven?«
»Du kannst fliegen«, sagte ich.
So ganz war sie nicht überzeugt und wandte sich an ihre Ziehmutter. »Echt? Kann ich?«
»Meinetwegen ja. Aber du weißt ja...«
Das Vogelmädchen winkte ab. »Ja, ja, ich weiß. Keine Sorge, ich werde auf mich Acht geben.« Sie strahlte uns beide an. »Schönen Abend noch.«
»He!«, rief ich. »Komm nur nicht zu spät zurück! Und zieh dich bitte dick genug an!«
»Ja, Daddy.«
Schon war sie verschwunden. Maxine schaute ihr kopfschüttelnd nach. »Ich kann sie nicht halten, John. Sie ist anders. Sie muss einfach fliegen, und das kann sie nur in der Dunkelheit. Tagsüber würde sie gesehen werden. Das wollen wir beide nicht.«
»Hast du sie bisher noch immer versteckt halten können ?«
»Habe ich.« Sie griff nach ihrem Weinglas. »Das heißt, man kennt sie schon, sie geht mir auch zur Hand, aber ihr Kittel ist so weit geschnitten, dass die Flügel darunter verschwinden. So kommen wir gut durch, denke ich.«
»Freut mich.« Ich lächelte ihr über den Tisch hinweg zu. »Und wie geht es dir
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