Airborn 01 - Wolkenpanther
die anderen Offiziere. Einige von ihnen riefen mich einfach nur »Cruse« oder »Junge«, weil sie der Meinung waren, sie könnten sich wegen meiner Jugend den »Mister« sparen. Anders der Kapitän. Für ihn war ich immer »Mr Cruse«. Das ging so weit, dass ich mich in Gedanken fast selbst als einen Mister sah. Und immer wenn ich zu Hause in Löwentorstadt auf Landurlaub war und meine Mutter oder meine Schwestern mich Matt nannten, klang mein eigener Name während der ersten paar Tage fremd in meinem Ohren.
»Heißluftballon bei ein Uhr, knapp einen Kilometer voraus, hundert Fuß über uns.«
»Danke, Mr Cruse.«
Es gab eine Pause, während der Kapitän aus den riesigen Panoramafenstern der Führergondel sah. Da die Gondel ein gutes Stück versetzt hinter dem Bug hing, hatte man von dort nur eine eingeschränkte Sicht auf alles, was sich darüber befand. Aus diesem Grund war immer eine Wache im vorderen Krähennest postiert. Die Aurora benötigte auch ganz oben ein Paar aufmerksamer Augen.
»Ja, ich sehe ihn. Gut beobachtet, Mr Cruse. Können Sie seine Kennzeichnung erkennen? Wir werden das Licht auf ihn richten.«
Vorne an der Führergondel war ein starker Scheinwerfer befestigt, dessen Strahl nun eine helle Bahn durch die Nacht schnitt und den Ballon anleuchtete. Dieser zeigte sich in einem erbärmlichen Zustand, eingefallen und voller Falten. Entweder verlor er Luft oder der Brenner funktionierte nicht richtig.
»Es ist die Sturmvogel«, las ich in das Sprachrohr hinein vor.
Der Ballon sah aus, als hätte er einen Sturm zu viel mitgemacht. Vielleicht hatte ein Gewitter ein Loch in seine Hülle gerissen oder ihn durch die Luft gewirbelt. Immer noch war in der Gondel keine Spur von dem Piloten zu sehen.
Leises Gemurmel drang durch das Sprachrohr, während sich der Kapitän mit den Offizieren auf der Kommandobrücke beriet.
»Er ist nicht im Flugplan verzeichnet«, hörte ich Mr Torbay, unseren Navigator, sagen.
Jedes Luftschiff musste vor dem Start seine Flugstrecke anmelden. Wenn der Ballon nicht auf dem Flugplan stand, handelte es sich entweder um einen Luftpiraten oder er war aus irgendeinem Grund von seinem Kurs abgekommen.
»Irgendein Lebenszeichen von dem Piloten, Mr Cruse?«, fragte der Kapitän.
»Nein, Sir.«
»Wir werden versuchen, ihn über Funk zu rufen.«
Ich wartete. Der Ballon stand fast still, weil kaum ein Wind wehte, und wir holten rasch auf. Er wirkte irgendwie unheimlich, wie er so dunkel und reglos wie ein lebloses Ding am Himmel hing. Kurz darauf tönte die Stimme des Kapitäns durch das Sprachrohr.
»Wir können auf der Sturmvogel niemanden erreichen, Mr Cruse. Können Sie irgendein Lebenszeichen erkennen?«
»Nichts, Sir.«
Ich spürte eine Schwere in meinen Fersen und wusste sofort, dass wir stiegen. Die Aurora neigte sich sanft in Richtung Himmel, um zur Sturmvogel aufzuschließen. Die Gondel verschwand aus meinem Blickfeld, und einen Moment später sah ich nur noch die Spitze des Ballons, während der Kapitän uns näher heranführte. Durch den Boden des Krähennests spürte ich, wie die Propeller gedrosselt wurden und sich der Puls unseres Schiffs verlangsamte. Wenn man lange genug in der Luft war, konnte man fast jede Bewegung des Schiffs in den eigenen Muskeln und Sehnen voraussagen, als wäre man mit ihm zusammengewachsen.
Ich hörte, wie der Kapitän wieder und wieder mit einem Megafon aus dem Fenster der Kommandobrücke rief: »Sturmvogel, hier spricht die Aurora. Bitte antworten Sie!«
Hätte der Pilot nur geschlafen, so wäre er sicherlich aufgewacht, aber nachdem der Kapitän eine Weile vergeblich auf Antwort gewartet hatte, gab er auf. Durch das Sprachrohr hörte ich ihn mit seinem Steuermann sprechen.
»Kommen Sie zu mir, Mr Kahlo, wir werden die Aurora so dicht wie möglich an den Ballon heransteuern und die Gondel, wenn möglich, an Bord nehmen. Vermutlich ist das Schiff verlassen worden oder es ist jemand verletzt – auf alle Fälle ist die Sturmvogel in Schwierigkeiten. Wir können sie nicht wie herrenloses Gut über die Luftstraßen treiben lassen.«
Den Ballon an Bord bringen? Das wäre wirklich eine Meisterleistung. Eine Rettung in der Luft war ein heikles Manöver. Doch die Luftfahrtgesetze schrieben vor, einem Luftschiff, das in Schwierigkeiten steckte, zu helfen.
Schritte kamen die Leiter herauf. Meine Wache war vorbei, und ich wurde von Pieter Riddihoff ab gelöst, einem Dritten Offizier, dessen Rang noch so niedrig war, dass er Dienst im
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