Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
dem Kies neben dem Hinterrad des Wagens vorbeistrich. Sekundenlang starrte sie auf die rostbraune Stelle, ohne ihre Bedeutung zu begreifen. Dann schob sie sich langsam an dem Wagen entlang und ließ den Blick über die von dem Fleck wegführende Spur gleiten.
Als sie das Heck des Wagens umrundete, kam die Einfahrt voll in Sicht. Aus dem trockenen braunen Bach wurde ein dunkelroter See, in dem eine einzelne Schwimmerin mit offenen Augen reglos lag.
Das Zwitschern der Vögel brach abrupt ab, als ein anderer Laut durch die Bäume hochstieg.
Cathys Schrei.
„Hey, Mister! Hey, Mister!”
Victor versuchte, den Laut zu ignorieren, aber er surrte weiter in seinem Ohr wie eine Fliege, die sich nicht verscheuchen ließ.
„Hey, Mister! Sind Sie wach?”
Victor öffnete die Augen und richtete seinen Blick schmerzhaft auf ein trockenes kleines Gesicht mit grauem Schnurrbart.
Die Erscheinung grinste, und Dunkelheit klaffte, wo Zähne sein sollten. Victor starrte in dieses schwarze Loch von Mund und dachte: Ich bin gestorben und in die Hölle gekommen.
„Hey, Mister, haben Sie eine Zigarette?”
Victor schüttelte den Kopf und konnte gerade wispern: „Ich glaube nicht.”
„Na, haben Sie dann einen Dollar, den ich mir leihen kann?” „Geh weg”, stöhnte Victor und schloss seine Augen gegen das Tageslicht. Er versuchte zu denken, versuchte sich zu erinnern, wo er war, aber sein Kopf schmerzte, und die Stimme des kleinen Mannes lenkte ihn weiterhin ab.
„Ich kriege hier keine Zigaretten. Ist hier wie im Gefängnis. Ich weiß nicht, warum ich nicht einfach verschwinde. Aber auf den Straßen ist es um diese Jahreszeit kalt, wissen Sie. Hat die ganze Nacht geregnet. Hier drinnen ist es wenigstens warm …”
Die ganze Nacht geregnet … Plötzlich erinnerte sich Victor. Der Regen. Durch den Regen laufen …
Victor riss die Augen auf. „Wo bin ich? Wie spät ist es?”
„Weiß nicht. Vielleicht neun. Sie haben jedenfalls das Frühstück verpasst.”
„Ich muss hier raus.” Victor schwang seine Beine unter heftigen Schmerzen aus dem Bett und entdeckte, dass er abgesehen von einem dünnen Krankenhausnachthemd nackt war. „Wo sind meine Sachen? Meine Brieftasche?”
Der alte Mann zuckte die Schultern. „Das weiß die Schwester.”
Victor fand den Rufknopf, drückte ihn ein paarmal und begann, das Klebeband zu lösen, das die Infusionsnadel in seinem Arm festhielt.
Die Tür öffnete sich zischend, und eine Frauenstimme rief: „Mr. Holland! Was machen Sie da?”
„Ich verschwinde von hier, das mache ich.” Victor riss das letzte Klebeband ab. Bevor er die Nadel herausziehen konnte, stampfte die Schwester, so schnell ihre stämmigen Beine sie trugen, durch den Raum und drückte ein Stück Gaze auf den Katheter.
„Geben Sie nicht mir die Schuld, Miss Redfern!” kreischte der kleine Mann.
„Lenny, gehen Sie sofort in Ihr eigenes Bett zurück! Und Sie, Mr. Holland”, sagte sie und richtete ihre stahlblauen Augen auf Victor, „Sie haben zu viel Blut verloren.” Sie hielt seinen Arm an ihrem massigen Bizeps gefangen und klebte die Nadel wieder fest.
„Holen Sie mir nur meine Kleider.”
„Widersprechen Sie nicht, Mr. Holland. Sie müssen hier bleiben.”
„Warum?”
„Weil Sie eine Infusion bekommen, darum!” schnappte sie.
„Ich will meine Kleider!”
„Da müsste ich in der Notaufnahme nachfragen. Von Ihren Sachen ist nichts auf diese Etage gekommen.”
„Dann rufen Sie in der Notaufnahme an, verdammt!” Bei Miss Redferns missbilligendem Stirnrunzeln fügte er mit erzwungener Höflichkeit hinzu: „Wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht.”
Es dauerte eine halbe Stunde, bis eine Frau aus dem Büro kam und erklärte, was mit Victors Sachen passiert war.
„Ich fürchte, wir … also, wir haben Ihre Sachen verloren, Mr. Holland.” Sie bewegte sich unbehaglich unter seinem erstaunten Blick.
„Was heißt verloren?”
„Sie wurden …” Sie räusperte sich. „… gestohlen. Aus der Notaufnahme. Glauben Sie mir, das ist noch nie passiert. Es tut uns wirklich sehr Leid, Mr. Holland, und ich bin sicher, wir werden dafür sorgen, dass Sie sich Ersatz kaufen können …”
Was war aus dem Film geworden? Während der endlosen Fahrt ins Krankenhaus hatte er sich in seiner Tasche befunden. Hatte er den Film verloren, seinen einzigen Beweis?
„… fehlt zwar das Geld, aber Ihre Kreditkarten sind wohl alle da. Wenigstens dafür kann man dankbar sein.”
Er sah sie verständnislos an.
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