Akte X
basierte, daß sie beide unbemerkt in die Wälder entkommen könnten. Jody kannte sich dort gut genug aus. Aber dieser Eindringling hatte sie überrascht, denn er war zu Fuß gekommen und nicht mit einem Auto. Jetzt gab es keine Fluchtmöglichkeit mehr.
»Jody, du bleibst im Haus. Geh zur Hintertür und renn weg, wenn ich es dir sage. Versteck dich zwischen den Bäumen.«
Er starrte sie ängstlich an. »Aber ich kann dich nicht allein lassen, Mom.«
»Wenn ich sie hinhalten kann, hast du einen kleinen Vorsprung. Wenn sie nichts Böses im Schilde führen, hast du auch nichts zu befürchten.«Ihr Gesicht wurde steinern, und Jody schoß das Blut ins Gesicht, als er begriff, was sie meinte.
Sie wandte sich wieder zur Tür und kniff die Augen zusammen. »Jetzt paß auf, daß dich niemand sieht.«
Mit grimmigem Gesicht verschränkte Patrice die Arme vor der Brust und wartete auf der Veranda auf den näherkommenden Fremden. Schrecken und Ungeduld brachten sie fast um. Dies war der Moment der Konfrontation, den sie seit Davids verzweifeltem Anruf gefürchtet hatte.
Die Gestalt war ein breitschultriger Mann mit einem seltsam torkelnden Gang. Er sah aus, als wäre er zu Fuß und mit offenen Altöldosen in der Hand durch eine Autowaschanlage gegangen. Er stolperte aufs Blockhaus zu, um dann abrupt stehenzubleiben, als er sie auf der Veranda entdeckte.
Vader knurrte.
Selbst aus der Entfernung konnte Patrice erkennen, daß er sie anstarrte. Er hatte sich verändert, seine Gesichtszüge waren irgendwie verzerrt — aber sie erkannte ihn. Endlich ein Freund! »Jeremy«, stieß sie hervor, »Jeremy Dorman!«
26 Blockhaus der Kennessys, Küstenregion, Oregon Freitag, 13:14 Uhr
»Patrice!« rief Dorman mit heiserer Stimme und ging dann mit schnelleren, irgendwie bedrohlich wirkenden Schritten auf sie zu.
Sie hatte sich an dunklen Straßenecken Zeitungen aus Automaten gekauft und gelesen, daß der Laborpartner ihres Mannes ebenfalls im DyMar-Feuer umgekommen war, ermordet von den Männern, die verhindern wollten, daß die Öffentlichkeit von Davids Nanotech-Forschungen erfuhr.
»Jeremy, sind diese Männer auch hinter Ihnen her? Wie sind Sie entkommen?«
Die Tatsache, daß Jeremy Dorman irgendwie die Flucht gelungen war, ließ sie für einen Moment hoffen, daß vielleicht auch David überlebt hatte. Aber sie konnte den Gedanken nicht festhalten; er entglitt ihren geistigen Fingern. Sie hatte tausend Fragen, aber vor allem war sie froh, ein vertrautes Gesicht zu sehen, einen anderen Menschen, der in derselben Zwangslage steckte wie sie...
Aber daß Jeremy hier war, beunruhigte sie zugleich. Er hatte geahnt, daß sie sich mit Jody in diesem Blockhaus versteckte. Sie wußte, daß David schon immer zuviel geredet hatte. Selbst die geheime Zuflucht seines Bruders konnte nicht lange ein Geheimnis geblieben sein, wenn sie an all die Mußestunden dachte, die David und Jeremy zusammen im Labor verbracht, die Unterhaltungen, die sie geführt hatten.
Sie war plötzlich wachsam. »Hat man Sie verfolgt? Wenn sie kommen, um uns zu holen - wir haben keine Waffen...«
»Patrice«, unterbrach er, »ich bin verzweifelt. Bitte, helfen Sie mir.« Er schluckte hart... und seine Kehle bewegte sich viel weiter, als normal war. »Ich muß ins Haus.«
Als der kräftige Mann nähertrat, sah er sehr krank aus, schien sich kaum bewegen zu können, als würde er an hundert verschiedenen Gebrechen leiden. Seine Haut hatte einen sonderbaren, feuchten Glanz - und das lag nicht allein an der Luftfeuchtigkeit. Sie sah schlüpfrig aus. Wie von Schleim bedeckt.
»Was ist mit Ihnen passiert, Jeremy?« Sie wies zur Tür und fragte sich, warum sie sich so unbehaglich fühlte. Dorman hatte viel Zeit mit ihrer Familie verbracht, vor allem, nachdem Darin seine Stellung aufgegeben und ins Survivalisten-Lager geflohen war. »Sie sehen furchtbar aus.«
»Ich habe so viel zu erklären, aber nicht genug Zeit. Sie sehen doch, in welcher Verfassung ich bin. Für mich ist etwas anderes sehr wichtig - ist der Hund auch hier?«
Sie erstarrte; dann brachte sie nur die Kraft auf, einen Schritt nach vorn zu treten und sich am feuchten, bemoosten Geländer festzuhalten. Warum fragte er nach Vader, der sich zusammen mit Jody im Haus versteckte? Obwohl sie wußte, daß dies Jeremy war, Jeremy Dorman, hatte sie das Gefühl, vorsichtig sein zu müssen.
»Zuerst will ich ein paar Antworten haben«, erklärte sie, ohne sich von der Veranda zu rühren. Er blieb
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