Akte X
Mietwagen zurück und griff nach den Schlüsseln. Als sie einen Blick auf ihr Handy warf, das sie auf dem Autositz liegengelassen hatte, stellte sie mißmutig fest, daß es nicht funktionierte. Sie befanden sich wieder außerhalb des Funkbereichs.
25
Blockhaus der Kennessys,
Küstenregion, Oregon
Freitag, 12:48 Uhr
Vor dem Blockhaus bellte Vader. Er sprang auf, rannte unruhig auf der Veranda hin und her und gab ein kehliges Knurren von sich.
Patrice versteifte sich und stürzte zu den Spitzengardinen. Sie kannte Vader schon ein Dutzend Jahre, und sie wußte, daß der Hund diesmal nicht nur spielerisch ein Eichhörnchen verbellte. Dieses Bellen war eine Warnung. Sie hatte so etwas schon seit langem erwartet. Und gefürchtet.
Draußen umringten die Bäume hoch und düster die Lichtung und standen so dicht an dicht, daß es beklemmend wirkte. Die Stämme schienen näher gerückt zu sein wie eine unerbittliche Armee... wie der Mob, der DyMar umstellt hatte.
Eine leichte Brise, noch feucht vom letzten Regenguß, strich über die gras- und unkrautbewachsene Lichtung. Ursprünglich war ihr die Wiese wunderschön erschienen, der perfekte Rahmen für das Blockhaus in der Wildnis - ein wundervolles Fleckchen Erde, hatte Darin gesagt, und sie hatte seine Begeisterung geteilt.
Doch jetzt vermittelte ihr die große Lichtung das Gefühl, schutzlos und verwundbar zu sein. Vader bellte wieder, trat an den Rand der Veranda und
spähte zur Zufahrt hinüber, die den Wald zerschnitt. Seine Nüstern bebten.
»Was ist los, Mom?« fragte Jody. Seine bedrückte Miene verriet ihr, daß er genauso viel Angst hatte wie sie. In der letzten Woche hatten sie ständig geübt, was in einem derartigen Fall zu tun war. »Es kommt jemand«, sagte sie.
Sie riß sich zusammen, löschte alle Lichter im Blockhaus, zog die Vorhänge zu, riß dann die Vordertür auf und trat auf die Veranda. Vader blickte sich kurz nach ihr um und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf die Zufahrt.
Jody folgte ihr neugierig, aber sie scheuchte ihn zurück ins Haus. »Mom!« protestierte er, doch sie drohte ihm mit dem Finger und sah ihn streng an. Hastig verschwand er im Inneren. Der mütterliche Beschützerinstinkt beherrschte sie wie eine Droge. Gegen seinen Krebs war sie hilflos gewesen, ebensowenig gegen die blutrünstigen Terroristen, die seinen Vater ermordet hatten - aber sie hatte ihren Sohn hierher in Sicherheit gebracht und ihn bis heute am Leben erhalten. Patrice Kennessy hatte nicht die Absicht, ausgerechnet jetzt aufzugeben.
Eine Gestalt tauchte zwischen den Bäumen auf und näherte sich zu Fuß über die lange, von düsteren Kiefern gesäumte Zufahrt dem Blockhaus.
Für eine Flucht war es jetzt zu spät.
Sie hatte sich mit Jody in die Wildnis entlang der Küste zurückgezogen, weil in dieser Gegend vorwiegend Survi-valisten, religiöse Sektierer, Extremisten und Eigenbrötler lebten - alles Leute, die es verstanden, jeden Kontakt mit der Außenwelt zu vermeiden. Davids Bruder hatte sich einer dieser Gruppen angeschlossen, aber sie wagte nicht, zu ihm zu gehen und ihn um Schutz zu bitten. Die Leute, die
hinter ihnen her waren, würden dort zuerst suchen. Sie mußte das Unerwartete tun.
Ihre Gedanken rasten, als sie sich an einen Fehler zu erinnern versuchte, den sie gemacht haben könnte. Wem sie verraten haben könnte, wer sie waren oder wo sie wohnten. Plötzlich fiel ihr ein, daß sie bei ihrem letzten Besuch in der Gemischtwarenhandlung die Titelseite einer Oregoner Wochenzeitung mit einem Foto der eingezäunten und niedergebrannten Ruinen der DyMar-Laboratorien gesehen hatte.
Vor Schreck hatte sie ihre Einkäufe fallen gelassen und war von den Ständern mit den TV-Magazinen und Salamisnacks und Schokoriegeln zurückgewichen. Die alte Frau mit den knallrot gefärbten Haaren hatte sie durch ihre verschmierten Brillengläser neugierig gemustert. Aber niemand, hatte sich Patrice eingeredet, würde einen Zusammenhang zwischen einer Frau, die allein mit ihrem zwölfjährigen Sohn reiste, und dem Brandanschlag herstellen.
Dennoch, die Verkäuferin hatte sie für ihren Geschmack zu interessiert gemustert...
»Wer ist es, Mom?« fragte Jody flüsternd von seinem Platz am kalten Kamin. »Kannst du was erkennen?« Patrice war froh, am Morgen kein Feuer gemacht zu haben, denn die verräterische Fahne aus grauweißem Rauch hätte noch mehr Aufmerksamkeit erregt.
Für eine solche Situation hatten sie einen Plan ausgearbeitet, der darauf
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