Akte X Novel
Lächeln abrang, um Jane keinen Anlaß zu weiterer Sorge zu liefern.
Jane ging zur Tür hinaus, und Lauren blieb allein mit dem Rest der noch nicht verpackten Sachen zurück.
Jane hat recht, sagte sie sich. Es war an der Zeit, zu gehen. Heute würde sie so oder so nicht mehr viel tun können. Vielleicht würde sie am nächsten Tag auch nicht mehr ganz so verstört sein.
Sie ging zur Tür, doch als ihre Hand den Türknauf berührte, fühlte sie, daß etwas in dem Raum sich veränderte. Es war, als rege sich etwas in der Luft, als hätte etwas den Raum betreten, das eine Sekunde vorher noch nicht dagewesen war.
Dann hörte sie hinter sich ein Geräusch. Verwundert wandte sie sich um. Alles war noch genauso, wie sie es verlassen hatte.
Alles, mit Ausnahme des Plastikschildes mit der Aufschrift: EIN HEUTE IST ZWEI MORGEN WERT.
Es hatte sich bewegt. Nun war es fünf Zentimeter von der Stelle entfernt, an der sie es eben noch gesehen hatte, und stand in einem schrägen Winkel zur Kante des Tisches.
Lauren blinzelte.
Der Raum lag in tiefer Stille. Außer ihr war niemand hier. Es war einfach unmöglich, und doch... das Schild hatte sich bewegt. Sie trat an den Schreibtisch heran, wie um sich zu vergewissern, und wurde von einem sonderbaren Gefühl überfallen.
Das Schild hatte sich bewegt, weil Howard wollte, daß sie es an sich nahm.
Sie ergriff es und preßte es an die Brust. Wie oft hatte sie es betrachtet, wenn sie in diesem Büro gesessen und mit Howard gearbeitet hatte? Es war gewiß ein kostbares Erinnerungsstück an diese wunderbare Zeit.
Lauren verließ das Büro, das Schild noch immer fest an den Busen gedrückt. Dies war der einzige Gegenstand, den sie zum Gedenken an Howard Graves behalten würde.
Lauren steuerte auf ihrem Heimweg einen Geldautomaten an, um ihren Lohnscheck zu deponieren. Sie benutzte diesen speziellen Automaten sonst nicht, denn er stand nicht gerade in einer vertrauenerweckenden Gegend, andererseits lag er jedoch auf ihrem Heimweg, und sie war viel zu müde, um noch große Umwege zu machen.
Sie stieg aus ihrem Wagen, ging zu dem Automaten und schob ihre Bankkarte in den Schlitz. Sekunden später tippte sie ihre Pin-Nummer ein. Ihr fiel auf, wie ruhig die Straße dalag. Selbst das Piepen des Gerätes schien lauter zu sein als gewöhnlich.
Lauren ließ sich vierzig Dollar auszahlen und beendete die Eintragungen in den Feldern für die Hinterlegung ihres Lohnschecks. Als sie den Umschlag in den Einschubschlitz steckte, spürte sie, wie jemand von hinten nach ihr griff.
„Bitte!“ schrie sie. „Nein! Ich habe kein Geld! Biiiittteee!“
Ihr Schrei hielt einen endlos scheinenden Augenblick lang an, dann legte sich eine zweite Hand auf ihren Mund und brachte sie zum Schweigen. Starr vor Angst ließ sie die Attacke über sich ergehen, als zwei Männer sie von dem Automaten fortrissen und brutal in die Dunkelheit einer nahegelegenen Seitenstraße zerrten.
Die schreckliche Furcht jagte einen Adrenalinstoß durch ihren Körper, und Lauren kämpfte verzweifelt, um sich von ihren Angreifern loszureißen. Sie trat um sich und wand sich mit aller Kraft, bis sie schließlich ihren Kopf aus dem Griff des zweiten Mannes befreien konnte.
„Nein, nicht! Lassen Sie mich gehen! Bitte!“ kreischte sie, wobei sie im stillen betete, daß irgend jemand sie hörte. Es mußte doch jemanden geben, der ihr zu Hilfe kommen würde. Jemanden, der diese Männer aufhalten konnte.
Der Mann, der vor ihr stand, hob einen Arm; in seiner Hand blitzte eine Messerklinge.
Dann sah Lauren etwas, das sie noch mehr erschreckte als die Waffe... etwas, das sie nie für möglich gehalten hätte.
„Nein!“ Gellend hallte ihr Schrei durch die Dunkelheit, ehe er in der finsteren Nacht verklang.
Zwei Stunden später herrschte Stille in der dunklen Gasse. Dunstschwaden aus vergitterten Abzügen zogen gleich Spukerscheinungen über die Straßen. In der Ferne flackerte eine Neonreklame. Zwei Jugendliche, ein Junge und ein Mädchen, betraten die Nebenstraße. Nach zu vielen Tagen mit zu wenig Nahrung waren ihre Schritte unsicher. Sie waren von zu Hause ausgerissen, und das alte Industriegebiet mit den zahlreichen verlassenen Fabrikgebäuden bot reichlich Platz, um sich zu verstecken.
Der Junge erklärte dem Mädchen die Vorzüge des Abtauchens in Müllcontainern. „Müllcontainer sind ein klasse Versteck“, dozierte er. „Du kannst es dir unter einem Haufen alter Lumpen und Papier im Warmen gemütlich machen. Das einzige Problem ist, daß
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