Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
Vom Netzwerk:
nicht, worüber er sich mit einer Nonne unterhalten sollte.
    Endlich hatte er sich ein geeignetes Thema zurechtgelegt, er öffnete den Mund und sagte:
    »Mütterchen . . .« Doch schon verstummte er verlegen, denn er dachte sich, dass einer jungen Frau, selbst wenn sie Nonne war, diese Anrede seitens eines kahlköpfigen und schon ein wenig aufgeschwemmten Herrn weit über dreißig kaum angenehm sein dürfte.
    Jedes Mal hatte er Schwierigkeiten im Umgang mit Pelagia, obwohl er noch nicht oft mit ihr geredet hatte. Die Nonne hatte nach seiner Meinung die sehr irritierende Eigenschaft, mal wie eine reife und weise Frau zu wirken, mal wie ein kleines Mädchen, so wie zum Beispiel jetzt.
    »Das heißt . . . Schwester«, verbesserte er sich, »Sie sind doch die Schwester« (das war nun ganz dumm) »von Polina Andrejewna Lissizyna, nicht?«
    Die Nonne nickte irgendwie unbestimmt, und Berditschewski fürchtete schon, eine ihm unbekannte Etikette verletzt zu haben, die es Nonnen verbot, über ihre in der Welt verbliebenen Angehörigen zu sprechen.
    »Ich habe nur so gefragt . . . Sie ist eine sehr kluge und sympathische Frau und sieht Ihnen ein wenig ähnlich.« Er warf einen vorsichtigen Blick auf seine Begleiterin, die neben ihm auf dem Ledersitz schaukelte, und fügte hinzu: »Ein ganz klein wenig.«
    Wer weiß, wohin dieses etwas ungewandte Gespräch noch geführt hätte, wenn die Equipage nicht auf den Kirchplatz eingebogen wäre, den Hauptplatz unserer Stadt mit der Kathedrale, dem Gouverneurshaus, den wichtigsten Ämtern, dem Konsistorium und dem Hotel »Zum Großfürsten«, wo vor vielen Jahren in der Tat der Großfürst Konstantin Pawlowitsch abgestiegen war, als er eine Erkundungsreise in die östlichen Gouvernements des Imperiums unternahm.
    Vor der gusseisernen Umfriedung dieses vornehmen Hotels drängten sich lärmende Menschen, und es waren sogar Polizeimützen zu sehen. Dort geschah etwas Ungehöriges, und das in unmittelbarer Nähe zu den Residenzen der geistlichen und der weltlichen Macht, was Berditschewski als Amtsperson nicht hinnehmen konnte. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er überhaupt eine Schwäche für Situationen, in denen er sich als Natschalnik zeigen konnte.
    »Bleiben Sie sitzen, Schwester«, sagte er gewichtig zu Pelagia, ließ den Kutscher anhalten und ging rekognoszieren.
    Den würdevollen Beamten ließ man ungehindert durch zum Mittelpunkt der Ansammlung, und da zeigte sich, dass alle auf Bubenzows Kaukasier starrten.
    Der Tscherkesse war sturzbetrunken und vollführte einen wahnwitzigen Tanz, wobei er ab und zu einen kehligen Schrei ausstieß. Er trappelte auf der Stelle, trippelte graziös mit seinen großen Füßen in abgetragenen Mokassins, sprang von Zeit zu Zeit höchst geschickt auf die Zehenspitzen und beschrieb über seinem kahl rasierten Schädel blitzende Kreise mit seinem Dolch von ungeheurer Größe. Es war zu sehen, dass er schon lange so tanzte und noch lange weiterzutanzen vorhatte.
    »Was ist denn das?«, fragte Berditschewski stirnrunzelnd den Reviervorsteher.
    »Sie sehen ja selbst, Euer Hochwohlgeboren. Es geht schon fast eine Stunde, dass er hier herumtobt. Davor hat er in der Schänke › Zum Spiegel ‹ die Spiegel zerschlagen und die Kellner mit Fußtritten traktiert, noch früher war er in der Schänke › Samson ‹ , wo er auch randaliert hat, aber auch da ist er auch schon betrunken hingekommen.«
    »Warum haben Sie das nicht unterbunden?«
    »Wir haben’s versucht, Euer Hochwohlgeboren. Aber er hat dem Polizisten Karassjuk die Fresse blutig geschlagen, und mich hätte er beinahe mit dem Schwert da massakriert.«
    »Erschießen muss man ihn«, sagte böse ein Polizist, der sich ein blutiges Taschentuch vors Gesicht hielt, das war wohl Karassjuk. »Es bleibt nichts anderes übrig, sonst bringt er noch jemanden um.«
    »Von wegen erschießen!«, zischte der Reviervorsteher. »Das ist doch der Diener von Wladimir Bubenzow.«
    »Und wo haben Sie Ihre Augen?«, wandte sich Berditschewski an Tichon Selig, der verlegen in den ersten Reihen stand. »Schaffen Sie Ihren Wilden hier weg.«
    »Ich bin ja schon seit der Nacht hinter ihm her«, versetzte Selig kläglich. »Halte ein mit dem Trinken, hab ich ihm gesagt. Aber er hört ja nicht. Er darf keinen Schnaps trinken, überhaupt nicht. Er ist ja kein russischer Mensch, was will man da erwarten. Entweder er trinkt keinen Tropfen, oder er macht einen halben Eimer (Eimer – russisches Flüssigkeitsmaß, etwa 12 Liter. D.

Weitere Kostenlose Bücher