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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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sie eine Krone aus Lilien, und zwischen den leicht gespreizten Fingern blitzten lachende Augen. Es sei zugegeben, dass die Arbeiten meisterlich ausgeführt waren, aber natürlich gab es nicht deshalb ein solches Gedränge.
    Also, da war er, der herrliche, entsetzliche, einzigartige Skandal, dessen Herannahen die Stadt Sawolshsk mit ihrer empfindlichen Nase gewittert hatte! Und dabei ging es keineswegs um die Abbildung einer nackten Frau. Wir leben zwar im Krähwinkel, aber doch nicht in Persien, und mit Aktbildern, selbst als Photographie, sind unsere Kunstliebhaber nicht zu irritieren. Nein, der Kitzel lag in der Person der Nackten, deren Figur die Betrachter gierig anstarrten. War sie es oder nicht?
    Sytnikow ächzte, fuhr mit fünf Fingern durch den Bart, schüttelte missbilligend den Kopf, hatte es jedoch nicht eilig weiterzugehen. Im Gegenteil, er setzte den Kneifer auf, der gar nicht zu ihm passte, und vertiefte sich in die Details, als schätzte er eine Partie Waren ab.
    Schirjajew bot einen kläglichen Anblick. Er war bis zum Haaransatz blutübergossen, sein Atem ging stoßweise, seine Finger lockerten sich und ballten sich wieder zu Fäusten. Auch Poggio benahm sich sonderbar. Er beglotzte die eigenen Werke mit krankhaftem, irrlichterndem Lächeln und schien das Publikum vergessen zu haben.
    Als Letzter trat Bubenzow herzu. Mit Kennermiene, den Kopf zur Seite geneigt, beäugte er das Triptychon und fragte auflachend:
    »Wer ist die Nymphe?«
    Poggio fuhr zusammen und winkte lässig ab.
    »Ach, eine hiesige Einwohnerin. Hübsch, nicht?«
    Da ertönte von hinten eine laute, spöttische Stimme:
    »Was gibt’s denn da zu schauen, Herrschaften? Wohl ein Meisterwerk?«
    In der Tür stand die Fürstin Naina Telianowa, unsagbar schön in einem weißen Kleid, um das sich ein blutroter Gürtel schlang, auf dem Kopf ein Samthütchen mit Schleier, durch den ihre riesengroßen schwarzen Augen funkelten.
    Der größte Skandal stand also noch bevor.
    »Da sind Sie ja doch noch!«, schrie Poggio und ging ihr einen Schritt entgegen. »Zu spät! Oder dachten Sie, ich mache Spaß?«
    »Es war Absicht«, antwortete sie und ging auf die Gäste zu. »Ich wollte mal sehen, was für Teufel in Ihnen stecken.«
    Mit Bedacht langsam schritt sie am Landschaftsteil der Ausstellung vorüber, verhielt sogar vor einer nicht sonderlich bemerkenswerten Studie, um die Spannung zu steigern. Endlich gelangte sie zu dem Häuflein, das sich vor dem Triptychon drängte. Alle traten eilig auseinander, um ihr Platz zu machen.
    Während Naina die skandalösen Photos betrachtete, war es sehr still. Frau Lissizyna sah, dass einige der Besucher mit besonderem Interesse die Nackenlinie des gefährlichen Fräuleins studierten und mit dem von hinten abgelichteten Modell verglichen. Die Ähnlichkeit war groß, sehr groß.
    Endlich drehte Naina sich um, und es war zu sehen, dass ihre anfängliche Bravour etwas nachgelassen hatte, und die Augen unter dem dünnen Schleier glänzten auffallend – doch nicht von Tränen?
    »Was hat das eigentlich mit einer Meeresbucht zu tun?«, fragte Kirill Krasnow laut, offenbar um dem Moment die Schärfe zu nehmen. »Das ist doch ein Motiv aus Puschkins › Ruslan und Ludmila ‹ .«
    »Genau«, antwortete Poggio und sah Naina mit entzündeten Augen an.
    »Sie haben die Nixe dargestellt, das ist es! › Von Zauber ist die Bucht umschauert, Der Schrat geht um, die Nixe lauert. ‹ (Nachdichtung von Martin Remané) .«
    Poggio öffnete die roten Lippen zu einem erbarmungslosen Lächeln und sagte gedehnt:
    »Möglich. Oder eine andere Stelle aus › Ruslan ‹ . . .« Er fuhr fort, jedes Wort akzentuierend: » › Ach, Recke, das war ja Naina. ‹ «
    Ohne ein einziges Wort (und das war das Schlimmste) stürzte sich Schirjajew auf seinen ehemaligen Studienkollegen und schlug ihm in rasender Wut die Faust ins Gesicht, so dass der Künstler gegen die Wand flog und aus seinem Mund Blut in den Bart floss.
    »Stepan, was machst du?«, schrie Pjotr entsetzt und legte Schirjajew von hinten die Arme um die Schultern. »Was hast du denn?« Und plötzlich ging ihm ein Licht auf: »Du hast gedacht, das ist Naina?«
    Nun kam es zu einer wirklich skandalösen Szene. Mehrere Männer hielten Schirjajew fest, der sich losreißen wollte und nichts sagte, nur röchelte. Pjotr Telianow hielt beide Hände vors Gesicht und schluchzte laut. Poggio aber, der mit seinem blutenden Mund wie ein Vampir aussah, gab etwas von sich, das ein Husten, aber

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