Akunin, Boris - Pelagia 01
Ü.) nieder und wird zum Tier. Irgendein schlechter Mensch hat ihn zum Trinken verleitet. Jetzt wird er tanzen, bis er umfällt.«
Berditschewski, der die Blicke der Menge auf sich gerichtet sah, sprach mit unanfechtbarer Autorität:
»Das gehört sich nicht. Schließlich ist das hier der Kirchplatz. Gleich kommt der Bischof, um die Predigt zu halten. Schaffen Sie ihn sofort weg!«
Aus der Menge kamen Rufe:
»Ein ganz Schlauer! Schaff ihn doch selber weg, wenn du dich traust!«
Da begriff Berditschewski, dass er in eine Falle getappt war, die er sich selbst gestellt hatte. Warum nur hatte er die Kutsche anhalten lassen? Aber zurückweichen war unmöglich.
Und von dem Reviervorsteher und dem verprügelten Polizisten war Hilfe nicht zu erwarten.
Mit den Kaumuskeln spielend, um sich zu ermutigen, machte Berditschewski einen Schritt und noch einen und näherte sich dem Furcht einflößenden Tänzer. Der stimmte plötzlich ein wildes, doch auf seine Art melodisches Lied an und fuchtelte blitzschnell mit dem Dolch.
»Sofort aufhören!«, schnauzte Berditschewski, so laut er konnte.
Der Tscherkesse richtete den blutunterlaufenen Blick auf ihn.
»Hast du gehört!«
Berditschewski machte einen Schritt und noch einen.
»Der arme Kerl«, sagte jemand in der Menge.
Ob der Tscherkesse oder Berditschewski gemeint war, blieb ungewiss, aber der Staatsanwalt bezog es auf sich, fasste sich ein Herz und streckte die Hand aus, um den Kaukasier am Ärmel zu packen, doch da beschrieb die Stahlklinge – sssst – einen Bogen haarscharf an Berditschewskis Fingern vorbei, und vom Revers des Beamten flogen, glatt abgetrennt, zwei Wappenknöpfe.
Berditschewski stieß unwillkürlich einen Schrei aus und sprang beiseite. Wutentbrannt über diese Demütigung rief er dem Reviervorsteher zu:
»Bubenzow herholen, schnell! Wenn er seinen Kaukasier nicht zur Ruhe bringt, lasse ich dem in die Beine schießen.«
»Wladimir Lwowitsch schläft noch und hat verboten, ihn zu wecken«, erklärte Selig.
»Ich warte genau zehn Minuten.« Berditschewski schwenkte ärgerlich seine silberne Uhr. »Dann lasse ich schießen.«
Tichon Selig trippelte zu dem Hotel, und auf dem Platz trat interessiertes Schweigen ein.
Der Tscherkesse setzte seinen unvergleichlichen Tanz fort, wie aufgezogen. Berditschewski stand mit der Uhr in der Hand da und kam sich idiotisch vor. Karassjuk schob mit sichtlichem Vergnügen Patronen in die Revolvertrommel.
Als bis zum Ablauf des Ultimatums nur noch eine Minute blieb, sagte der Reviervorsteher nervös:
»Euer Hochwohlgeboren, Sie werden bezeugen, dass ich in keiner Beziehung . . .«
»Er kommt, er kommt!«, lärmte die Menge.
Aus dem Hotel trat gemächlich Bubenzow in einem seidenen Hausmantel, einen Türkenfes mit Quaste auf dem Kopf. Man machte ihm Platz. Er blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüften und blickte eine Weile auf seinen übergeschnappten Janitscharen. Dann gähnte er und bewegte sich sacht auf ihn zu. Eine Frau ächzte auf. Der Tscherkesse schien seinen Herrn nicht zu sehen, er tanzte weiter, wich aber dabei langsam zurück zum Hotel. Bubenzow ging noch immer sacht auf ihn zu, ohne ein Wort zu sagen, bis der Tscherkesse stehen blieb. Seine Augen waren starr wie bei einem Toten.
»Genug getanzt, du Dummkopf?«, sagte Bubenzow in die Stille hinein. »Komm, schlaf dich aus.«
Er drehte sich um und ging zurück ins Hotel, ohne zurückzuschauen. Murad folgte ihm gehorsam, und neben ihm trippelte Selig.
Alle sahen dem malerischen Dreigespann schweigend hinterher.
Ein Kirchendiener bekreuzigte sich und sagte im Bass:
»Ihm ist Macht gegeben über die bösen Geister.«
Auch Pelagia bekreuzigte sich, die, wie wir schon wissen, niemals grundlos das Kreuz schlug.
Vor der Tür der Wohnung, die bis vor kurzem der arme Poggio bewohnt hatte, drängte sich ebenfalls ein dichter Ring von Gaffern, und bei der Vortreppe stand mit rollenden Augen ein Wachtmeister. Pelagia, bevor sie hineinging, bekreuzigte sich noch einmal, und wieder nicht ohne Grund.
Das Besuchszimmer sah fast genauso aus wie am Tag zuvor, nur waren die Tische jetzt leer. Umso schrecklicher war das Bild, das sich der Nonne im Salon bot. Sämtliche Photographien waren nicht nur von der Wand gerissen, sondern auch in winzige Schnipsel zerfetzt, die den Fußboden bedeckten. Ein Tobsüchtiger hatte nicht wenig Zeit darauf verwendet, Poggios Ausstellung in nichts zu verwandeln.
Die Treppe von der oberen Etage herab kam Polizeimeister
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