Alarmstufe Blond
diesem Anblick zu schmerzen. Warum sah er mich nicht so an? Gut, er kannte mich nicht. Das war ein triftiger Grund. Aber selbst wenn ich ihm begegnen würde, würde er sich vermutlich niemals in mich verlieben. Mein strohblondes Haar machte immer, was es wollte, und die Männer dachten, es bedeckte ein leeres Köpfchen, so dass sie bitter enttäuscht waren, wenn ich ihnen von meinem Studienabschluss erzählte. Außerdem besaß ich eine viel zu helle Haut und grüne Augen, von denen mein Ex einmal gesagt hatte, dass sie wie Moos aussahen. Moos! Bei Moos musste ich immer an alte, faltige Baumstämme oder eine betagte Schildkröte denken, aber nicht an eine sexy Geliebte und Traumfrau. Er vermutlich auch nicht, deshalb war er mehr an Josephine mit ihren braunen Haaren und blauen Augen interessiert gewesen.
Ich seufzte leise und nahm das Bild noch einmal zur Hand, um auf der Rückseite zu sehen, wie die beiden hießen, aber da stand nichts. Vorsichtig strich ich mit dem Finger über sein Gesicht. Es hätte ja sein können, dass wie bei Aladdin und seinem Dschinn etwas passierte, nur dass es sich statt um eine alte Lampe um ein Foto handelte. Aber diese Geste erweckte ihn nicht zu Leben.
Als auch beim dritten Darüberstreichen nichts passierte, legte ich das Foto zurück in den Koffer. Was ich mit dem ganzen Krempel machen würde, wusste ich allerdings noch nicht. Er musste den vorherigen Besitzern gehört haben, aber wer das war, entzog sich meiner Kenntnis. Also würde ich vermutlich alles wegwerfen.
Ich stand auf und stakste zurück zur Treppe. Doch wie das manchmal so ist, klaffen Absicht und Durchführung gelegentlich weit auseinander. Wie in meinem Fall an diesem späten Nachmittag. Denn leider machte die Abendsonne einen Strich durch meine Pläne, unbeschadet die Stufen hinunterzugelangen. Sie musste gemerkt haben, dass ich eine Stadtpflanze war, die die Sonne nur hin und wieder im Park antraf, sie aber sonst in den Häuserschluchten nie zu sehen bekam, und falls doch, nur durch mehrere Staubschichten hindurch. Durch das Dachfenster verpasste sie mir jedenfalls eine volle Ladung. Von den schräg stehenden Strahlen geblendet übersah ich die erste Stufe.
Ich weiß nicht mehr, was lauter war, mein Schrei oder das Poltern, das mein Fallen verursachte. Jedenfalls lag ich ein paar Sekunden später mehrere Treppenstufen tiefer eingequetscht neben der Tür und hielt mir alle Knochen, die ich in meiner Lage berühren konnte. Mir tat alles weh, von oben bis unten.
Sobald ich wieder einigermaßen klar denken konnte und wusste, dass ich Pippa Stoltz hieß, 26 Jahre alt war und als ewige Redaktionsassistentin bei einer bekannten Frauenzeitschrift arbeitete, machte ich den Schnellcheck. Ich versuchte, von unten nach oben jeden Knochen zu bewegen und auf seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Die Zehen schmerzten zwar, aber nicht über Gebühr. Nichts gebrochen. Auch die Beine schienen heil zu sein. Meine Hüfte war verdreht, aber auch nicht gebrochen, dasselbe mit den Armen und Händen. Was mein Schädel sagte, war eine andere Sache. Irgendetwas stach unheimlich schmerzhaft in meiner Schläfe. Ich griff mit der Hand, die weniger wehtat, an die Stelle. Etwas Rotes, Flüssiges klebte an meinen Fingern. Ich blutete.
Mühsam stand ich auf und hinkte durch die Tapetentür zurück ins Haus und dann vorsichtig hinunter ins Freie, bis ich auf der Straße stand. Wohin wollte ich eigentlich? Gab es in diesem Nest einen Arzt? Brauchte ich überhaupt einen oder half nicht vielleicht ein Pflaster weiter?
Vorsichtig tastete ich wieder meine Schläfe ab, doch die Wunde schien größer zu sein, als ich gehofft hatte. Das Blut rann über meine Finger und lief den Arm hinunter.
»Ich bringe Sie zum Arzt«, sagte plötzlich eine weibliche Stimme neben mir. Ich hatte keine Ahnung, woher sie gekommen war, vermutlich befanden sich wichtige Teile meines Gehirns im Schockzustand und versagten ihren Dienst. Ich nickte, was einen leichten Schwindel in meinem Kopf hervorrief, dann wurde ich vorsichtig zu einem altersschwachen Trecker geführt, der ebenso plötzlich neben mir stand. Nur wenige Augenblicke später tuckerten wir die Straße hinunter, wobei mein Kopf durch das Poltern über die Schlaglöcher noch mehr dröhnte. Kurz danach hielten wir vor einem hellen, einstöckigen Gebäude an.
Die Frau, ich hatte sie inzwischen als meine Nachbarin identifiziert, half mir beim Runtersteigen und führte mich zu einer hellbraunen Tür, die sie
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