Alarmstufe Blond
nicht mehr gewesen, nach dem Blick in seinen Mund zu schließen.
»Na, dann ist ja gut.« Er schmunzelte. »Konnten Sie denn noch schlafen gestern, auch ohne Motorengeheul?«
»Ja, alles war in Ordnung«, erwiderte ich. »Ich habe trotz Stille und guter Luft fest geschlafen.«
»Und was macht die Verletzung?«
Ich tippte mit dem Finger vorsichtig an meine Schläfe mit dem Pflaster. »Nur eine kleine Platzwunde, tut kaum noch weh«, versuchte ich, ihn zu beruhigen. »Ich fühle mich fast schon, als wäre nie etwas passiert.«
»Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist«, sagte der Alte weise. »Lassen Sie sich nie etwas anderes einreden.«
Ich versuchte zu verstehen, was er damit meinte, aber als ich sah, dass neben seinem Kaffee eine kleine Pulle Schnaps stand, gab ich es auf.
»Vielen Dank für den Tipp«, erwiderte ich, dann drehte ich mich zur Tür und ging hinaus.
Als ich wieder auf der Hauptstraße stand, überlegte ich, in welche Richtung ich gehen musste, um einen Supermarkt zu finden. Ich ließ kurz meinen Blick schweifen, doch er kam nicht weit, denn er blieb an der Praxis hängen, in der ich gestern von Mr. Perfect alias Dr. Diercksen behandelt worden war.
Sofort begann mein Herz zu klopfen und Blut strömte in meinen Kopf. Verstohlen sah ich mich um, ob mich jemand beobachtete. Nachdem ich festgestellt hatte, dass die Luft rein war, schlenderte ich ganz unauffällig auf das Haus zu. Das Gebäude war relativ klein, es konnte nur die Praxis beherbergen, keine Wohnung. Es war weiß gestrichen, sauber und ordentlich. In einem der Fenster prangte ein rotes Kreuz, damit auch jemand, der die Treppe hinuntergefallen war, sehen konnte, wo er im Ernstfall Hilfe fand. Daneben eine Notfallnummer für den Fall der Fälle.
Wieder sah ich mich um, ob jemand beobachtete, dass ich das Haus anstarrte, dann holte ich mein Smartphone aus der Tasche und speicherte die Nummer ein. Man weiß ja nie, wofür man die nochmal braucht.
Danach hätte ich gerne Mutmaßungen darüber angestellt, ob Dr. Diercksen auch auf Notfälle mitten in der Nacht reagieren würde, als sich die Tür öffnete und er aus der Praxis heraustrat. Er sah selbst von weitem unglaublich sexy aus. Er war groß und schlank, seine langen Beine schritten kraftvoll voran. Das dunkle Haar fiel ein bisschen länger als auf dem Foto in die Stirn und wippte bei jedem Schritt keck auf und ab. Die Hände hatte er locker in die Taschen gesteckt, als würde er einen gemütlichen Spaziergang machen.
Schnell versteckte ich mich hinter einem Jasminstrauch. Es roch darin wie in einer Parfümfabrik, aber immerhin war ich vor seinen Blicken geschützt. Er ging die Straße hinunter und bog an einem kleinen Feldweg rechts ab. Kaum war er außer Sichtweite, schälte ich mich aus dem Strauch und lief hinterher. Als ich an der Biegung ankam, an der er die Hauptstraßen verlassen hatte, lugte ich vorsichtig um die Ecke, um gerade noch zu sehen, wie er in ein Tor zu einem Anwesen eintrat.
Das musste sein Zuhause sein. Ob dort Frau und Kinder warteten?
Ich konnte meine Neugier nicht mehr zügeln und schlich hinterher. Es war weit und breit niemand zu sehen, der mich hätte beobachten können. Ich fühlte mich fast ein bisschen wie Mata Hari in geheimer Mission, als ich an einer mit Hecken bewachsenen Mauer entlangschlich und fast lautlos über eine Pfütze sprang, bis ich bei dem Haus ankam. Wieder sah ich mich um. Niemand in Sicht.
Unauffällig ging ich am Haus vorbei und bog am Ende des Zaunes in eine Einfahrt ein, die mich in den Garten führte. Hinter zwei Koniferen und irgendetwas anderem Grünen, das ich nicht identifizieren konnte (ich war nie gut in Biologie und Pflanzenkunde gewesen), schlich ich hinter das Haus. Zum Glück hatte er keinen Hund, der mich anfallen konnte. Unbehelligt kam ich hinten an. Ein paar Obstbäume und Sträucher standen da und bildeten einen natürlichen Zaun zum Nachbargarten, linker Hand befanden sich ein paar Beete. Leider waren die Fenster zu hoch, um problemlos hineinsehen zu können. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf die Mülltonnen zu klettern, die an der Seite standen, um von diesem Standpunkt aus ins Fenster zu lugen.
Ich gab mir Mühe, keinen Laut zu erzeugen, als ich auf die Tonne mit den Papierresten kletterte und meinen Kopf streckte. Und da sah ich ihn. Er saß am Tisch mit seiner perfekten Frau, die ihm Kartoffeln servierte. Daneben saßen zwei reizende Kinder, ein Junge und ein Mädchen, ihm wie aus dem Gesicht
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