Alarmstufe Blond
erfolgreich erprobt und sogar einen Preis dafür gewonnen. Ich wollte etwas bewirken, jemand sein, der Menschen mit seinen Texten aufrüttelte und zum Nachdenken anregte, und dessen Meinung geschätzt wurde. Immer wieder versuchte ich es, hatte ihr großartige Themen vorgeschlagen, Anreißer geschrieben, sogar einen fertigen Artikel abgeliefert, doch es brachte alles nichts. Sie ignorierte meine Bemühungen.
Um mit der Wahrheit herauszurücken, war das ein weiterer Grund, warum ich hier in Frankenstein war. Ich hatte lange überlegt und die Archive gewälzt, welches Thema am geeignetsten für unsere Leserinnen sei, neu und unverbraucht, und war zu dem Schluss gekommen, dass wir viel zu wenig auf das Landleben eingingen. Die meisten beschrieben unser Stadtleben. Aber niemand kümmerte sich darum, was auf dem Land geschah. Und genau das hatte ich vor. Ich wollte die Zeit in dem Dorf, während ich Carolines Haus auf ihren Einzug vorbereitete, für gründliche Recherchen über das Landleben nutzen und darüber einen Artikel für die Frauenzeitschrift schreiben, der mir endlich meinen Traum erfüllte und meine Aufnahme in die Riege der richtigen Autorinnen garantierte. Aber das wusste außer mir niemand.
An diesem Morgen jedenfalls wachte ich erst nach zehn Uhr auf und streckte mich wohlig auf meiner Matratze. Ich hatte mir für mein Vorhaben Urlaub genommen, ich konnte so lange schlummern, wie ich wollte. Zumal ich eine schwere Kopfverletzung vorzuweisen hatte. Frisch und ausgeschlafen stand ich schließlich auf und sah zum Fenster hinaus auf die Landstraße, auf der eine einsame Radfahrerin rollte und sich eine Katze in der Sonne räkelte. Sonst war nichts los.
Ich streckte mich erneut und spürte dabei noch ein paar blaue Flecke, die mich erneut an meinen Sturz vom gestrigen Abend erinnerten. Und an meine Begegnung mit dem Mann meiner Träume, der mich wahrscheinlich für eine absolute Vollidiotin hielt. Ich jaulte innerlich auf bei dem Gedanken an seinen besorgten Blick aus den rehbraunen Augen, als ich ihm irgendetwas Unverständliches über sein Foto erzählt hatte. Als mir seine feinen, schlanken Hände einfielen, von denen er den Ehering entfernt hatte, zog sich mein Magen zusammen. Aber das konnte auch der Hunger sein. Ich hatte seit langer Zeit nichts mehr gegessen, denn als ich gestern gerade ein Restaurant auftreiben wollte, hatte ich den unsanften Abgang gemacht. Es wurde Zeit, dass ich etwas Essbares fand.
Ich zog mich an, machte mich in dem Provisorium eines Bades im ersten Stock, das ein Waschbecken, eine rostige Badewanne, einen fleckigen Spiegel und immerhin fließendes Wasser anbot, landfein, versuchte dabei, mein Pflaster an der Schläfe großräumig zu vermeiden, und ging aus dem Haus.
Es dauerte gerade mal zwei Minuten und einhundert Meter die Dorfstraße hinunter, da fand ich einen Bäcker, wo ich mir ein paar belegte Brötchen und ein Stück Kuchen genehmigte.
Der Bäcker war ein beleibter Mann mit Brille und wenig Haaren, die er eifrig zur Seite gekämmt hatte. An einem kleinen Tischchen in der Ecke stand ein kleiner, älterer, dünner Mann mit langen Koteletten und kleinen Augen, aus denen er mich anblinzelte.
»Na, wenn das nicht unsere neue Nachbarin ist«, sagte er mit freundlicher Stimme.
Ich hätte ihn ganz gerne übersehen, konnte es nun aber nicht, da er mich direkt ansprach.
»Nur für kurze Zeit, dann verschwinde ich wieder. Ich bin nur die Vorhut.«
»Vorhut wofür? Droht wieder ein Krieg?«
Ich hatte keine Ahnung, ob er das ernst meinte, weil sein Gesicht keinerlei Regung zeigte, deshalb verneinte ich lieber, um jeglichen Missverständnissen aus dem Wege zu gehen. »Meine Freundin hat das Haus gekauft, sie wird hier einziehen, ich bereite nur alles vor.«
»Wenn Ihre Freundin so hübsch ist wie Sie, darf sie gerne kommen«, sagte der Alte, wobei ich mir wieder nicht sicher war, wie ernst er seine Worte meinte.
»Ich denke, Sie werden sie mögen.« Dabei huschte zwar gerade das Bild einer Caroline mit Avocadocreme in den Haaren und honigverkleistertem Gesicht, an dem sich zwei Cornflakes festgeklebt hatten, vor meinem inneren Auge vorüber. Aber vielleicht mochten ihre Nachbarn außergewöhnliche Schönheitsmittel. Obwohl, wenn ich mir den Mann genauer ansah, vermutlich nicht. Ihm wuchsen die Haare büschelweise zu den Ohren hinaus, etwas Erde klebte an seinem Hals (wie die dorthin gekommen war, war mir ein Rätsel), und beim Zahnarzt war er vermutlich auch schon lange
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