Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
einem Stuhl. Das Fenster des Gasthofs stand weit offen, und der Straßenlärm die Rufe der Händler, das Geschwätz des gemeinen Volks und ganz in der Nähe das Weinen eines Kindes schallte bis in das Zimmer im zweiten Stockwerk herauf. Es waren die Geräusche des Lebens und vor ihm saß, mit Stricken gefesselt, der Inbegriff jugendlicher Lebenskraft.
Ein Lächeln lag auf dem faltenlosen Gesicht des Dunkelmagikers. Sein Haar war von einem satten, leuchtenden Kupferrot, seine Schultern waren breit und straff, der Rücken ungebeugt. Joach konnte sich nicht erinnern, jemals so rüstig gewesen zu sein. Dabei war das, was ihm da ins Gesicht starrte, seine eigene Jugend, um die Greschym ihn mit einem Zauberbann betrogen hatte.
Er stützte den Kopf auf seinen Stab und berührte mit der Wange das versteinerte Holz. Die Wärme des Nachmittags machte ihn schläfrig, aber er wollte nicht einnicken. Nach dem langen Marsch schmerzten ihn die Gelenke, und das Herz tat ihm weh. Doch mehr noch als die Strapazen der Reise belastete ihn die Nähe zu Greschym. Den ganzen vergangenen Winter lang hatte Joach auf Rache gesonnen und Pläne geschmiedet, wie er sich seine Jugend zurückholen könnte. Nun hatte man ihm den Feind gefesselt und hilflos überlassen.
Und ihm waren die Hände gebunden.
Er umfasste den Stab fester und betrachtete mit gerunzelter Stirn das Buch des Blutes, das auf dem Tisch lag.
Greschym bemerkte, wohin sein Blick ging. »Vernichte das Buch, und wir werden zu einer Einigung finden, mein Junge.«
Joach richtete sich unter Schmerzen auf. »So sehr ich es auch wünschte, dazu wird es niemals kommen. Aber keine Sorge. Irgendwann werden wir die alten Rechnungen begleichen.« Das war ebenso eine Drohung an den Dunkelmagiker wie ein Gelübde an sich selbst.
Greschyms Lächeln wurde bitter. »Dann kannst du deine letzten Winter damit verbringen, von deiner Jugend zu träumen, denn zurückbekommen wirst du sie nicht mehr.« Der Dunkelmagiker streifte das Buch mit finsterem Blick.
Die Magik des Buches war eine sehr viel stärkere Fessel als die Stricke, mit denen Er’ril den Mann gebunden hatte. Cho hatte den Dunkelmagiker in ihrer rasenden Wut mit einem Bann belegt, der einen Teil seiner Seele in die Leere zog und dort festhielt. Sollte es Greschym dennoch gelingen, Magik in irgendeiner Form an sich zu bringen, so würde sie unverzüglich in die Leere entweichen. Damit war der Dunkelmagiker seiner Macht beraubt.
Leider wurde im gleichen Zug auch Joach lahm gelegt: Jede Magik ob Traum oder Dunkelmagik , die er gegen Greschym einsetzte, würde ebenfalls von der Leere aufgesogen.
Sie waren beide handlungsunfähig. Traumkraft und Magik waren ausgeschaltet.
Als sie Greschym vor einigen Tagen gefangen genommen hatten, hätte Er’ril dem Magiker am liebsten die Kehle durchgeschnitten, aber Elena hatte nichts überstürzen wollen. Sie hatten die große Schlacht gegen Schwarzhall vor sich, und jede Einzelheit, die sie über die geheimen Verteidigungsanlagen oder die im Vulkangipfel postierten Streitkräfte in Erfahrung brächten, konnte den Ausschlag geben. Außerdem war Greschym mit dem Schwarzen Herzen und seinem Leutnant Schorkan so gut bekannt, dass sein Wissen in den kommenden Tagen zwischen Sieg und Niederlage entscheiden konnte. So durfte der Dunkelmagiker weiterleben als Gefangener.
Greschym seufzte. »Ich könnte dich vieles lehren, Joach. Du verfügst über gewaltige Kräfte und weißt sie gar nicht einzuschätzen.« Das klang müde und zugleich seltsam aufrichtig.
Joach sah seinen Gegner mit zusammengekniffenen Augen an. »Du kannst mich nichts lehren, was ich lernen möchte«, prahlte er, hörte jedoch selbst, wie hohl es klang.
Greschym zuckte die Achseln. »Du bist so unerfahren, dass du gar nicht weißt, was du so leichtfertig verwirfst.«
Joachs Lider zuckten. Er wusste, dass er im Begriff war, den Köder zu schlucken, aber er konnte nicht anders. »Und was wäre das?«
»Du bist ein Traumbildner, Joach, wie er seit unzähligen Generationen nicht mehr geboren wurde. Wenn ich deine Gabe hätte.« Er verstummte und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »… könnte ich mich sogar gegen das Schwarze Herz behaupten.«
Wieder spürte Joach, dass Greschym aufrichtig war. Zumindest glaubte er an das, was er sagte, auch wenn es vielleicht nicht unbedingt der Wahrheit entsprach. »Wie meinst du das?« fragte er.
Greschym sah ihn scharf an. »Ich sage nur so viel: Die Mauer zwischen Traum und
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