Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
nehmen sollen? Merik suchte mit einem tiefen Seufzer nach dem nächsten Gegner. Irgendwo in dieser langen Budengasse sollte es einen Händler geben, der Dörrfleisch verkaufte, doch bisher hatten sie seinen Stand noch nicht gefunden.
Sie drängten sich durch die Menge. Alle Gesichter waren von Sorgen und Ängsten gezeichnet. Familien trugen ihre gesamte Habe auf dem Rücken. Die Kinder, die sonst auf jedem Markt einen Heidenlärm veranstalteten, waren auffallend still und ließen die Hände ihrer Eltern nicht los.
Ni’lahn seufzte. Auch ihr standen Müdigkeit und Trauer ins Gesicht geschrieben. »Die Magik Explosion hat nicht nur dem See und den umliegenden Wäldern geschadet. Sie hat eine Wunde gerissen, an der noch die ganze Region verblutet.«
»Nicht nur die Region, auch unsere Börse«, erinnerte Merik.
»Sicher, aber wir kommen schon irgendwie zurecht. Ob die Leute hier das auch von sich behaupten können?« Ni’lahn betrachtete ein kleines Mädchen, das eine zerschlissene Puppe an die Brust drückte und sich umsah, als fühlte es sich verfolgt. Der Vater trug den linken Arm in einer Schlinge und ging mit dem gleichen Gesichtsausdruck durch die Budenreihen.
Auch Merik beobachtete das Paar, bis es in der Menge verschwand. Ob der Mann bei der Explosion verletzt worden war? Ein Anflug von schlechtem Gewissen milderte seinen hilflosen Zorn. Zwar konnte ihnen niemand direkt die Schuld an der Tragödie geben, aber sie konnten sich auch nicht ganz von der Verantwortung freisprechen.
Merik trieb Ni’lahn weiter. »Wir sollten zusehen, dass wir fertig werden und in den Gasthof zurückkommen.«
Mit den verbliebenen Münzen erledigten sie den Rest der Besorgungen. Für die beiden letzten Kupferstücke erstand Merik eine verdeckelte Honigwabe.
Als sie kehrtmachten, um in Richtung Gasthof zu gehen, beugte sich Ni’lahn zu Merik und flüsterte: »Wir werden verfolgt.«
»Wie bitte?« Er vermied es, sich umzudrehen.
»Bleib am nächsten Stand stehen, und schau über die rechte Schulter. Der Kerl trägt einen grünen Umhang und einen Schlapphut.«
Merik suchte den Mann und fand ihn auch. Er war groß und breitschultrig, sein Gesicht lag im Schatten der Hutkrempe und war nicht zu erkennen. Merik hütete sich, ihn allzu lange anzustarren, um ihn nicht merken zu lassen, dass er ihn entdeckt hatte. Er warf Ni’lahn einen Blick zu. »Vielleicht ein Dieb.«
Sie nickte. »Wir sollten auf der Hut sein.«
Sie gingen weiter. Der Mann in Grün hielt Abstand, blieb ihnen aber stets auf den Fersen.
Bald hatten sie den Markt hinter sich und schlenderten durch die Straßen. Hier herrschte weniger Betrieb. Der Verfolger müsste weiter zurückbleiben.
Seine Hartnäckigkeit gab Merik zu denken. Das war kein gewöhnlicher Taschendieb; der hätte im Trubel des Marktes leichter ein Opfer gefunden. Aber was mochte der Bursche sonst von ihnen wollen? Merik setzte seine eigene Magik frei und holte sich Energie aus dem Wind, der über dem Flussbett wehte. Dann legte er unauffällig die Hand an das Schwert an seiner Hüfte und machte sich bereit, sich notfalls mit der übernatürlichen Geschwindigkeit der Elv’en zu verteidigen.
Ni’lahn streifte die Waffe mit raschem Blick. »Vielleicht sollten wir nicht warten, bis wir angegriffen werden, sondern unsererseits einen Hinterhalt legen?«
Merik sah sie an. »Hast du genügend Kraft?« Der Marsch durch die verwüsteten Wälder um den Mondsee hatte die Nyphai sehr angestrengt. Aber seit sie wieder in einem gesunden Wald waren, hatte sie sich allmählich erholt.
Sie nickte und nahm die Laute von der Schulter.
Merik bemerkte, wie sie schöner wurde, sobald sie ihre eigene Magik freisetzte. Es waren nur geringfügige Veränderungen: Die Veilchenaugen bekamen einen strahlenderen Glanz, das Honiggold ihres Haares vertiefte sich, ihre Haut begann förmlich zu leuchten. »Wenn das so ist, sollten wir ihm tatsächlich eine Falle stellen.«
»Folge mir«, sagte Ni’lahn und schlüpfte in eine schmale, holprige Seitengasse, wo nur eine Hand voll Leute unterwegs waren. Dort beschleunigte sie ihren Schritt und sah sich suchend um.
»Wonach …?«
»Hierher!« flüsterte sie und zog den Elv’en unter das Fenster einer Schänke. Drinnen saßen ein paar Gäste um die rohen Holztische und klammerten sich an ihre Metkrüge, als hinge von jedem Tropfen ihr Leben ab.
»In den schmalen Durchgang«, flüsterte Ni’lahn. »Warte auf mein Zeichen.«
Erst jetzt bemerkte Merik die dunkle
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