Alcatraz und die Ritter von Crystallia: Band 3 (German Edition)
Rachsucht. Ich war froh, dass ihr Zorn sich ausnahmsweise einmal nicht gegen mich richtete.
»Je mehr ich darüber nachdenke, was du neulich gesagt hast, desto schlüssiger erscheint es mir«, sagte sie. »Warum wurde ausgerechnet ich– ein gerade erst zum Ritter geschlagenes Mädchen– auf eine so gefährliche Mission geschickt? Irgendwer aus Crystallia wollte, dass ich scheitere. Entweder war er neidisch, weil ich so schnell Ritter geworden bin, oder er wollte meine Mutter blamieren, oder er wollte einfach beweisen, dass ich dieser Aufgabe nicht gewachsen war.«
»Das klingt nicht gerade ehrenhaft«, bemerkte ich. »Ein Ritter von Crystallia würde so etwas doch nicht tun, oder?«
»Ich… keine Ahnung…«, sagte Bastille und warf einen Blick zu ihrer Mutter hinüber.
»Das kann ich mir kaum vorstellen«, sagte ich, obwohl ich es keineswegs für völlig abwegig hielt. Wisst ihr, mit Neidgefühlen ist das wie mit Blähungen. Beides will man sich bei tapferen Rittern nicht vorstellen, aber Ritter sind eben auch nur Menschen. Sie werden neidisch, sie machen Fehler und– ja– sie pupsen. (Allerdings würden Ritter nie »pupsen« sagen. Sie bevorzugen den Ausdruck »die Blechtrommel schlagen«. Das kommt wohl daher, dass sie so viel Rüstung tragen.)
Draulin stand hinten im Raum– ausnahmsweise einmal nicht in einer steifen »Rührt-euch-Haltung«– und polierte ihr großes Kristallschwert. Bastille hegte den Verdacht, dass ihre Mutter der Ritter war, der sie scheitern sehen wollte, weil Draulin zu denen gehörte, die die Aufgaben verteilten. Aber warum sollte sie ihre eigene Tochter auf eine Mission schicken, die eindeutig zu schwierig für sie war?
»Irgendetwas stimmt nicht«, sagte Bastille.
»Du meinst, abgesehen davon, dass unser fliegender Glasvogel aus noch ungeklärten Gründen explodiert ist?«
Sie winkte ab. »Das waren die Bibliothekare.«
»Wirklich?«
»Natürlich«, erwiderte Bastille. »Sie haben eine Gesandte in der Stadt, und wir wollen verhindern, dass sie Mokia übernehmen. Deshalb haben sie versucht, uns umzubringen. Wenn die Bibliothekare schon ein paar Dutzend Mal versucht haben, dich in die Luft zu jagen, gewöhnst du dich daran.«
»Wissen wir wirklich sicher, dass sie es waren?«, fragte ich. »Du hast gesagt, eine der Kabinen sei explodiert. Wessen Kabine war es?«
»Die meiner Mutter«, erwiderte Bastille. »Wir vermuten, dass der Auslöser der Explosion Sprengglas war, das meiner Mutter vor ihrer Abreise aus Nalhalla in den Rucksack geschmuggelt wurde. Sie hat diesen Rucksack auf dem ganzen Weg durch die Bibliothek von Alexandria getragen, aber die Sprengglasbombe war wohl so eingestellt, dass sie beim Landeanflug auf die Stadt explodierte.«
»Wow! Raffiniert.«
»So was ist typisch für die Bibliothekare. Wie auch immer, meine Mutter hat irgendwas. Das merke ich ihr an.«
»Vielleicht fühlt sie sich mies, weil sie dich so hart bestraft hat.«
Bastille schnaubte. »Unwahrscheinlich. Es ist etwas anderes. Es hat mit dem Schwert zu tun…«
Sie verstummte und hatte anscheinend nichts mehr hinzuzufügen. Kurz darauf winkte Grandpa Smedry mich zu sich. »Alcatraz!«, rief er. »Komm her und hör dir das an!«
Mein Großvater saß mit Sing auf einem der Sofas. Ich ging hinüber und setzte mich neben ihn, wobei mir auffiel, wie bequem das Sofa war. Ich hatte keinen weiteren Drachen wie den unseren über die Mauern der Stadt kriechen sehen, deshalb nahm ich an, dass es ein besonderes Privileg war, sich von ihm herumtragen zu lassen.
»Sing, erzähl meinem Enkel, was du mir gerade erzählt hast«, sagte Grandpa Smedry.
»Also, die Sache ist die«, begann Sing und beugte sich vor. »Diese Gesandte, die die Bibliothekare geschickt haben, gehört zu den Wächtern der Standarte.«
»Zu wem?«, fragte ich.
»Das ist eine der Sekten der Bibliothekare«, erklärte Sing. »Blackburn gehörte zur Sekte der Dunklen Okulatoren, und der Killer, gegen den du in der Bibliothek von Alexandria gekämpft hast, war einer von den Gebeinen des Schreibers. Die Wächter der Standarte haben immer behauptet, sie seien die Friedfertigsten unter den Bibliothekaren.«
»Friedfertige Bibliothekare? Das klingt nach einem Oxymoron.«
»Das ist auch nur Schau«, sagte Grandpa Smedry. »Es ist die Taktik dieser Sekte, unschuldig zu wirken. In Wirklichkeit sind die Wächter der Standarte die gefährlichsten Schlangen der ganzen Brut. Sie kontrollieren die meisten Bibliotheken in den Ländern des
Weitere Kostenlose Bücher